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Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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schon weiß, aber nicht zu fassen kriege.«
    »Es ist gut, so eine Fähigkeit zu kultivieren«, sagte sie. »Die braucht man immer öfter, wenn man älter wird und den Überblick verliert – Namen und Gesichter und wo man die Lesebrille hingelegt hat und warum man ins Wohnzimmer gegangen ist.«
    Ich hatte das Gefühl, sie versuchte, meine Geschichte in die Länge zu ziehen, und ich konnte es ihr nicht verdenken. »Ich betrachte Jonah Jamisons Schädel inzwischen seit einer Woche auf diese Weise«, fuhr ich fort, »aber es hat nicht funktioniert. Nichts Neues. Heute habe ich mich um sechs Uhr zur Arbeit geschleppt, und immer, wenn ich den verdammten Schädel angeschaut habe, bin ich richtig wütend geworden. Fast als wäre er absichtlich unkooperativ. Zu wachsam, als dass ich mich an ihn heranschleichen könnte, oder so.«
    »Nun, er ist während des Krieges in einer streng geheimen Stadt gestorben«, sagte sie. »Sie können ihm eigentlich keinen Vorwurf machen, dass er wachsam ist, oder?«
    »Aber genau das habe ich«, sagte ich. »Am Ende war ich so sauer, dass ich ihn in die Kiste gelegt und den Deckel zugemacht habe.«
    »Na, da haben Sie’s ihm aber gezeigt.«
    »Und da habe ich es gesehen.«
    »Was?«
    »Seinen linken Arm.«
    »Seinen linken Arm? Was war damit?«
    »Er war stark.«
    Sie runzelte die Stirn und überlegte. »Er war jung. Er war Soldat. Natürlich war er stark.«
    »Ich meine«, sagte ich, »dass sein linker Arm stärker war als sein rechter.«
    »Aber woher wollen Sie denn wissen, welcher Arm stärker war? Die Muskeln sind doch längst verwest, oder?«
    »Ja. Aber die Muskeln haben ihre Geschichte am Knochen hinterlassen.« Sie wirkte verwirrt, also tippte ich auf die Tischplatte des kleinen Kiefernholztischs zwischen uns. »Sehen Sie die beiden Knoten im Holz?« Sie nickte. »Da sind zwei Äste aus dem Baumstamm gewachsen, richtig?« Sie nickte. »Welcher dieser beiden Äste war wohl größer und kräftiger?« Sie tippte auf den Knoten näher bei ihr, der so groß war wie das Ziffernblatt meiner Armbanduhr – im Durchmesser doppelt so groß wie der andere Knoten. »Die Stellen, wo die Muskeln an den Knochen befestigt sind, nennt man Muskelansatzpunkte, kein besonders phantasievoller Name, aber für die Studenten leicht zu merken.« Ich winkelte den linken Arm an und blähte den Bizeps so weit wie möglich auf, was nicht besonders weit war. Dann drückte ich die Spitze des rechten Zeigefingers in die Armbeuge und wackelte damit. »Die Sehne des Bizepsmuskels ist genau hier mit dem Unterarmknochen verbunden, sodass sie, wenn Sie den Bizeps anspannen, den Unterarm hochzieht.« Sie stellte ihr Glas ab und tat es mir nach.
    »Fühlt sich an wie Zweige und Zwirn«, sagte sie. »Niemand würde das je für einen starken Arm halten.«
    »Nun, vielleicht nicht«, schloss ich. »Aber Sie sind Rechtshänderin, also sind die Zweige und der Zwirn am rechten Arm ein wenig stärker und dicker als am linken. Folglich sind auch die Muskelansatzpunkte an Ihrem rechten Arm ein wenig kräftiger als an Ihrem linken. Also, Footballspieler oder Arnold Schwarzenegger oder jeder mit einem richtig dicken Bizeps haben große, kräftige Muskelansatzpunkte, wie Beulen oder Wulste, wo der Knochen verstärkt wird, um die Last zu tragen.«
    »Dann wird der Knochen, genau wie eine Nation oder eine Generation«, sagte sie, »auf die Probe gestellt und gestärkt, wenn man ihn fordert.«
    »Ganz genau«, sagte ich. »Und was mir heute aufging, ist, dass Jonah Jamison konsequent – tagein, tagaus, dreißig Jahre lang – seinen linken Arm mehr gefordert hat als seinen rechten. Das verrät, dass er Linkshänder war. Genau wie die Armbanduhr, die er am rechten Handgelenk trug. An seiner Händigkeit kann ich erkennen, dass er ermordet wurde.«
    Sie ließ beide Hände in den Schoß sinken und schaute darauf. »Seine Händigkeit«, sagte sie. »Was für ein winziges Detail, um eine ganze Geschichte darauf aufzubauen.«
    »Ja«, sagte ich. »Winzig, aber entscheidend. So winzig, dass ein Mensch keinen Augenblick darüber nachdenken würde, wenn er vorhätte, sich das Gehirn wegzupusten. Er wäre mit Wichtigerem beschäftigt – würde überlegen, wie es nur dazu gekommen ist, sich fragen, ob er die Kugel wohl spürt, überlegen, ob er wirklich mutig oder verzweifelt genug ist, um abzudrücken. Es würde ihm niemals in den Sinn kommen, sich zu fragen, mit welcher Hand er die Waffe halten würde. Er würde sie automatisch, instinktiv in

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