Dr. Gordon verliebt
Beginn einer ausgezeichneten und erfolgreichen Karriere darstellen?» deutete ich hoffnungsvoll an.
«Wäre nicht ausgeschlossen, Richard. Ich bringe den Iren Gefühle der Sympathie entgegen.»
«Halte dich nur dem irischen Whisky fern.»
«Und du halte dich den Mädchen fern.»
Am nächsten Morgen packte ich im St. Swithin meine Bücher und Siebensachen zusammen, sagte meinen Kameraden Lebewohl und suchte ein Logis in jenem ungewissen Teil Londons, der unter dem Namen «South Ken» bekannt ist. Aus finanziellen Gründen hatte ich ein schäbiges viktorianisches Haus erkoren, unter dessen Fundament sämtliche Untergrundbahnzüge der inneren Ringlinie dahinzubrausen schienen. Da jedes Zimmer mit einem eigenen Gaskocher ausgestattet war, nannte sich solch ein Logis «Kleinwohnung» und wurde von jungen Frauen bewohnt, die um sechs herein- und um halb sieben wieder davonstürzten, von Studenten aus den heißeren Zonen des Commonwealth und einigen dicklichen platinblonden Damen, die, eine Zigarette zwischen den Lippen und eine Katze auf dem Arm, die Treppen hinauf und hinab keuchten. Wie so viele ähnliche Häuser Londons, in denen ich während meiner Studienzeit gewohnt hatte, war es ein Ort mit Leuten, die von nirgendwoher kamen, mit niemandem sprachen und plötzlich auszogen. Die Miete mußte stets im vorhinein erlegt werden, und der grün überzogene Briefkasten neben dem Bambushutständer in der Diele war angestopft mit behördlichen Zuschriften an frühere Mieter, die inzwischen ins glückliche Land der unbekannten Adressen verzogen waren.
Ohne die Zerstreuungen einträglicher Arbeit zu genießen, machte ich mich nun an das Studium für die nächste primäre Fellowship-Prüfung. Da die Krankenkasse jungen Spitalsärzten ungefähr dasselbe zahlt wie jungen Spitalschenern, waren meine Ersparnisse so gering, daß ich auf das frugalste leben mußte. Ich nährte mich größtenteils von Spiegeleiern und Heringen, die ich auf dem Gaskocher zubereitete, voll Nichtachtung der fettbespritzten Anweisung «Braten verboten». Ich verbrachte meine Zeit damit, Grays «Anatomie» und Samson Wrights «Physiologie» zu studieren, und wie ich so durch das Fenster auf die furchteinflößenden Umrisse des gegenüberliegenden Naturhistorischen Museums starrte, wurde mir nach einigen Tagen klar, daß entweder ich oder das Naturhistorische Museum übersiedeln mußte. Vielleicht betrachtete ich die Welt noch immer mit gelbsüchtigen Augen — jedenfalls war ich außerstande, mich zu konzentrieren, der Prüfung mit Begeisterung entgegenzusehen oder im Arztberuf überhaupt eine Zukunft zu erblicken. Selbst wenn ich die primäre Prüfung bestände, würde ich einen Posten als Spitalschirurg finden müssen, bevor ich zur Fellowship-Schlußprüfung antreten konnte; und diejenigen Stellen, die im British Medical Journal ausgeschrieben waren, befanden sich in großen Industriestädten, die mir, mochten deren Einwohner strebsamen jungen Chirurgen auch recht förderlich sein, nicht gerade als ideale Orte für einen Aufenthalt im Sommer erschienen. Nach kurzer Tätigkeit als Anstaltschirurg könnte ich zum chirurgischen Assistenten avancieren, doch der Schritt von diesem zum Facharzt war ebenso ungewiß wie in der Marine der vom Commander zum Kapitän. Ich entsann mich so vieler Assistenten in mittleren Jahren, die zerquält und hoffnungsvoll auf Anzeichen von Arterienverkalkung bei ihren Vorgesetzten lauerten, daß ich mich sogar zu fragen begann, ob ich überhaupt daran recht getan hatte, mich auf die Medizin zu werfen. Doch für derlei Betrachtungen war es bereits viel zu spät. Ein stellungsloser Arzt ist — wie ein stellungsloser Gerichtsanwalt — zu nichts anderem mehr nütze. Ich vermutete zwar, daß meine Fertigkeit, aus der Entfernung alarmierende Brusttöne festzustellen, einen ganz annehmbaren Automechaniker aus mir machen würde, und mein Talent, verborgene Geschwülste zu fühlen, in Verbindung mit einer oberflächlichen Kenntnis in angewandter Psychologie, im Zollwesen Anwendung finden könnte, doch sonst war ich ein nationaler Abzugsposten. Als das Naturhistorische Museum keinerlei Anstalten machte, von seinem Platz zu rücken, beschloß ich, einem Szenenwechsel zuliebe, alltäglich meine Bücher durch London spazierenzuführen und meine Rechte als Mitglied des Britischen Ärzteverbandes insofern auszunützen, indem ich in dessen Heimstätten arbeitete.
Das Haus des Britischen Ärzteverbandes im Bloomsbury ist ein großer
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