Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Gordon wird Vater

Dr. Gordon wird Vater

Titel: Dr. Gordon wird Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
Vom Netzwerk:
fragte, ob seines Vaters Geist da sei.
    «Sir Lancelot erwartet Sie im
Frühstückszimmer, Sir.»
    Einen Augenblick lang rang ich mit
panischen Zweifeln, wie warm ich meinen Paten begrüßen sollte. Er war ein
Mensch, der angesichts von Gefühlsbezeigungen so unangenehm werden konnte, wie
man es Napoleon angesichts von Katzen nachsagte. Doch Sir Lancelot löste das
Problem, indem er bloß aufblickte und sagte: «Trink eine Tasse Tee, Gordon»,
als wäre ich nur für ein paar Minuten aus dem Zimmer geschlüpft.
    Ich traf ihn in Morgenrock und Krawatte
an; er verzehrte heiße gebutterte Weißbrotscheiben, die er von einer mittels
Heißwasserbehälter vorgewärmten Platte nahm und abwechselnd mit Stachelbeerjam
und Mayonnaisesalat bestrich. Folgsam ließ ich mich auf einem riesigen
Klubfauteuil aus schwarzem Leder nieder.
    «Sie sehen ausgezeichnet aus, Sir»,
begann ich höflich.
    «Ich fühle mich auch
ausgezeichnet. Kann drei Meilen vor dem Frühstück
spazierenlaufen und das Kreuzworträtsel der Times während des Essens
lösen. Kannst du das? William, noch einen Tee, bitte.»
    Kurzes Schweigen.
    «Drück dich nicht so auf der
Sesselkante herum, Junge. Bist kein Schulmädel mit Wachstumslordose.»
    «Ein Jammer, Sir, daß Sie in den
Ruhestand treten mußten», sagte ich, mich bequemer zurechtsetzend.
    «Ein Jammer, daß man überhaupt in den
Ruhestand treten muß. Wieso ein Mensch einen Tag vor seinem fünfundsechzigsten
Geburtstag für fähig angesehen wird, eine große Bauchoperation vorzunehmen, und
einen Tag nachher für unfähig, etwas anderes als ein bißchen leichte
Gartenarbeit zu verrichten, entzieht sich gänzlich meiner Fassungskraft.»
    Ich stimmte ihm bei.
    «Und wie gewöhnlich, Gordon, kommt der
Ärztestand am schlechtesten weg. Schau dir die Richter an, wie sie dahocken und
in ihre Perücken hineinmummeln, bis sie neunzig sind. Möchte wetten, die Hälfte
der anglikanischen Bischöfe ist zu arthritisch, um die Kanzelstufen
hinaufzusteigen. Und wenn du dich im Studium der Senilität voll ausbilden
willst, geh ins House of Lords — ich kann da mitreden, hab eine Menge davon
gesehen. Aber bei uns Ärzten ist mit fünfundsechzig alles aus,
Geistesverfassung und Blutdruck mögen noch so sehr in Ordnung sein. Das ist ja
das Elend in der jetzigen Welt, die Persönlichkeit hat keinen Spielraum, sich
zu entfalten. Gott weiß, was einem Leonardo da Vinci heutzutage alles passiert
wäre. Wahrscheinlich hätte man ihn von Anfang an eingelocht, wegen Verletzung
der Anatomischen Akte.»
    Ich sah, daß mein Pate der alte
geblieben war.
    «Bereitet Ihnen das Landleben Freude,
Sir?» fragte ich schüchtern, als der Klubdiener mit meinem Tee daherschlurfte.
    «Ich glaube, das Leben bereitet einem
nirgends Freude heutzutage, da es leichter ist, wie ein Heiliger zu leben als
wie ein Gentleman. Rauchen verboten, weil man Lungenkrebs kriegt, Essen
verboten, weil man Fettsucht und Herzanfälle kriegt, und Trinken verboten,
weil’s zu teuer ist. Und ich höre von meinen alten Freunden nur, wenn ich ihren
Nachruf im British Medical Journal lese.»
    Er wischte seine Finger in einem
gelbseidenen Taschentuch ab,
    «Was gibt’s Neues in der Stadt?» fragte
er unvermittelt.
    Nachdem ich ein Weilchen über Dinge wie
Promenadenkonzerte und Sportwettbewerbe geplaudert hatte, erkundigte ich mich
behutsam, wie lange er sich in London aufzuhalten gedenke. Ich hatte das
Gefühl, alle Leute im St. Swithin würde dies höchlichst interessieren.
    «Hab ein paar Besorgungen zu
erledigen», erwiderte er, sichtlich abgeneigt, eine klare Antwort zu geben.
«Meine Gnädige benötigt etwas getrockneten Ingwer, Belladonnapflaster und
ähnlichen Kram. Aber ich hab dich nicht zu einem Gesellschaftsklatsch
hergebeten. Möchte mit dir ein ernsthaftes und vertrauliches Gespräch führen,
Gordon. Kümmre dich nicht um den Kerl dort mit den Gamaschen», fügte er hinzu,
als er meinen Seitenblick auf einen in der Nähe stehenden Fauteuil auffing.
«Seit Jahren stocktaub.»
    Sir Lancelot saß eine Zeitlang
schweigend da und strich seinen Bart.
    «Ich bin dir nie ein besonders
gewissenhafter Taufpate gewesen», erklärte er zu meiner Überraschung. «Um es
dir offen zu gestehen, ich nahm diesen Job nur auf mich, weil dein Vater mein
Assistent war. Hab nicht Zeit gehabt, mich viel um dich zu kümmern. Hab
eigentlich, wenn ich’s recht bedenke, nie Zeit gehabt, mich viel um irgendwas
zu kümmern», fuhr er nachdenklich fort. «Als vielbeschäftigter Arzt

Weitere Kostenlose Bücher