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Dr. Gordon wird Vater

Dr. Gordon wird Vater

Titel: Dr. Gordon wird Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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zurück (sie
übertraf sogar letztere oft, wenn Lady Spratt eine ihrer schwierigen
Nervenkrisen hatte). Er war ein Mann, zu groß für sein Zeitalter, in dem
britische Spezialisten den Staatsbeamten ähneln, die sie so oft zu werden
fürchten.
    «Es ist fast fünfzig Jahre her, daß ich
hierherkam», beendete Sir Lancelot an jenem Nachmittag seine würdevolle Rede,
in der er die Veränderungen, deren Zeuge er im St. Swithin gewesen, in einem Tonfall
schilderte, der nur schwach andeutete, wie sehr die meisten davon zum
Schlimmeren ausgefallen waren.
    «Ich war ein schüchterner Student mit
einem antiquarischen Anatomiebuch unterm Arm, und mein Gepäck bestand einzig
aus einem Sezierbesteck und einem blauen Sergeanzug — beide stammten, wie ich
gestehen muß, von meinem Vater, Nach so vielen Jahren fällt es mir nicht
leicht, zu scheiden. Doch es muß sein, und wir wollen’s ohne Sentimentalität
hinter uns bringen.
    Ich habe nur einen einzigen Wunsch —
möge ich Ihnen mit den Worten des unsterblichen Horaz in Erinnerung bleiben: Integer
vitae scelerisque purus — Makellos im Leben und frei von Schuld.»
    Er dämpfte seine Stimme. Zum erstenmal
brachte er eine Übersetzung als nachträglichen Einfall und nicht als Anprangerung
des erschreckenden Mangels an klassischer Bildung unter der modernen
Ärzteschaft.
    «Was meine persönlichen Pläne
betrifft», schloß er, «gedenke ich meine ferneren Tage in Ruhe auf meinem
Landsitz in Herefordshire zu verbringen, solange es dem Herrn gefallen mag,
mich am Leben zu erhalten. Auf dem Lande, inmitten meiner Bücher, meiner
Aufzeichnungen und, vor allem meiner Erinnerungen, werde ich endlich
Gelegenheit finden, mich der Kontemplation zu widmen — eine Übung, meine Damen
und Herren, die unmöglich ist, wenn man die Tage und Energien eines Lebens
damit ausschöpft, den Krankheitserscheinungen des ganzen Unterleibes
nachzujagen.»
    «Und den Guineas ganz Londons»,
murmelte eine Stimme aus dem Hintergrund.
    So also schwand Sir Lancelot aus St.
Swithin, um seine unverminderten Kräfte dem Obstbau und der Behandlung von Lady
Spratts Rheumatismus zu widmen. Als sein Rolls Royce zum letztenmal aus dem
Spitalshof fuhr, dem Spitalshof mit seinen spärlichen, vom Londoner Nebel
geschwärzten Platanen und seinen zwei von den Londoner Tauben geweißten
Statuen, und ihn durch Torwege führte, in denen noch die Erinnerung an die auf
Fensterläden hereingeschafften Patienten und die in klappernden Zweispännern
vorfahrenden Spezialisten lebendig war, da fühlte jedermann, er versinke in den
Nebelschleiern der medizinischen Mythologie.
    Und wenn es das Glück wollte, würde man
erst bei seinem Gedenkgottesdienst wieder von ihm hören.
    Sir Lancelots Entschwinden von den
chirurgischen Schlachtfeldern, auf denen er in so vielen hochdramatischen
Kämpfen gewonnen und verloren hatte, erregte im St. Swithin noch immer ein
erregtes Hin und Her der Meinungen — die einen führten es auf drohende
Bronchitis zurück, die anderen auf drohende Erpressung. Als emeritierter
Chirurg hätte er viele Privilegien für sich in Anspruch nehmen können, vom
Vorbringen seiner Meinung in heiklen Fällen angefangen bis zum Einnehmen seines
Lunchs im Refektorium des Spitals; viele unserer ehemaligen Spezialisten
geisterten noch auf den Stationen herum, bis sie fast unbemerkt selbst unter
einem der Bettlaken untertauchten.
    «Ich lehne es ab, den alten Seemann auf
dem Ozean der Chirurgie zu spielen», war seine ganze Antwort, als man ihn
befragte. «Außerdem ist es gar zu simpel, ein emeritierter Spezialist zu sein —
es gibt genügend Grünzeug, das Schnitzer machen kann.»
    Ich war daher recht neugierig, als ich
am nächsten Montag meinen besten Anzug und einen steifen weißen Kragen anlegte,
um zu unserer Verabredung nach London zu fahren; in meinem Magen regten sich
Gefühle, die mir noch gut vom Morgen der Schlußprüfung in Erinnerung waren.
    Das Parthenon in St. James war Sir
Lancelots Klub und wie alles, was ihn betraf, unüberbietbar großartig und
distinguiert. Ich kannte keine Londoner Klubs mit Ausnahme jener, in die mich
Grimsdyke geführt hatte und wo hübsche Blondinen in Kellerräumen Klavier
spielten; das Parthenon machte einen tiefen Eindruck auf mich mit seiner Flucht
langer düsterer Räume, angefüllt mit langen düsteren Lehnstühlen, in denen
lange düstere Gentlemen im Sitzen schliefen.
    «Sir?» fragte der Türhüter.
    Ich nannte Sir Lancelots Namen; mir war
wie Hamlet zumute, als er

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