Dr. Gordon wird Vater
meine
Ausführungen.
Ich sah Major Marston nicht wieder.
Noch am selben Abend sendete er mir per Post die Wohnungsschlüssel. Ein paar
Tage später übersiedelten wir, nachdem wir unsere spärlichen Möbelstücke an
unsere Mietsleute abgetreten hatten.
«Leider bring ich’s nicht mehr
zustande, dich über die Schwelle zu tragen», entschuldigte ich mich bei Nicky.
«Aber wenigstens brauchst du jetzt nichts anderes zu tun, als geduldig
dazusitzen und diese Dingerchen zu stricken.»
Doch kaum waren wir in unser neues Heim
eingezogen, lenkte unser kommendes Baby die Aufmerksamkeit von einer völlig
unerwarteten Seite auf sich.
8
Ich
erkannte sogleich den kühnen Zug der schwarzen Schrift auf dem Brief, den mir
die Post automatisch an meine neue Adresse weitergeleitet hatte.
«Von meinem Taufpaten», rief ich am
Frühstückstisch aus. «Und dabei hat der alte Knabe uns nicht einmal ein
Weihnachtskärtchen geschickt, seit wir verheiratet sind.»
Mit einem Interesse, das hinreichend
stark war, um als Erregung ausgelegt zu werden, öffnete ich den Brief Sir
Lancelot Spratts, Ritters vom Orden des Britischen Empire, Kongreßmitglieds,
Doktors der Naturwissenschaften, Fellows des Königlichen Chirurgenkollegiums zu
Edinburgh.
Evans Farm, Much Chilvers,
Herefordshire
Lieber
Gordon (Sir Lancelot erachtete Vornamen nur für Kinder und Hunde angemessen),
Dein Vater hat kürzlich ein paar Tage
bei mir verbracht. Wie ich erfahre, erwartet Deine Frau in Bälde ein Kind. Ich
bin enttäuscht, daß Du mich nicht davon unterrichtet hast, wenn auch nicht
schmerzlich berührt — schließlich bin ich nun ein alter Mann, von geringem
Nutzen für die Welt, der seine Tage so ungestört wie möglich auf dem Lande
beschließt. Doch ich habe für Dein künftiges Kind bzw. Deine künftigen Kinder
Wichtiges im Sinne. Suche mich nächsten Montagnachmittag um vier Uhr im
Parthenon auf. Grüße.
L. S.
«Er kommt meiner Seel nach London»,
verkündete ich überrascht. «Dabei hat er geschworen, er würde nie mehr in
seinem Leben Londoner Pflaster betreten.»
Nicky war ehrlich erschrocken. «Ach du
lieber Himmel! Dann werde ich mit ihm Zusammenkommen müssen!»
«Er ist bei weitem nicht so schlimm,
wie die Leute behaupten», beruhigte ich sie. «Alle diese alten Spitalsfiguren
sind halb Fabelwesen, halb Wundertiere.»
«Genauso wie dieser schreckliche
Schneemensch, aber begegnen möchte ich ihm trotzdem nicht.»
«Das Pech ist, daß du ihn beim
Schlußexamen gehabt hast, Liebste. Er hat sicher nur deshalb eine grimmige
Miene aufgesetzt, um sich zu überzeugen, daß er sich durch eine hübsche
Studentin nicht beeinflussen lassen würde. Er ist wirklich nur ein Drache aus
Papiermache.»
«Das mag ja stimmen, Richard. Doch
damals kamen mir der Rauch und das Feuer, das er spie, sehr real vor. Und für
dich wird der Gang nach London auch kein Honiglecken sein.»
«Noch viel weniger Honiglecken, wenn
ich nicht ginge», sagte ich.
Ich hatte meinen Paten nicht mehr
gesehen, seit er vor zwei Jahren aus dem Chirurgenstab St. Swithins schied, ein
Ereignis, das für das Spital dasselbe bedeutete wie einst das Leichenbegängnis
des Herzogs von Wellington für das viktorianische London. Am Nachmittag seiner
letzten Operation hatten sich seine Kollegen von der chirurgischen und
medizinischen Fakultät, darunter ich, in der zugigen Halle mit den
Gründerporträts versammelt, um ihm sein Bildnis zu präsentieren — es stellte
ihn in scharlachroter Robe dar, einen Totenschädel in der Hand, und mit einem
Ausdruck heiterer Seelenruhe, die man am lebenden Vorbild nur dann beobachten
konnte, wenn es während der feierlichen Reden seiner Kollegen schlief.
Es war ein Augenblick echter Betrübnis
sowohl für seine Freunde, die ihn den «Rembrandt des Skalpells», wie für seine
Feinde, die ihn den «alten Metzger» nannten. Durch dreißig Jahre hatte Sir
Lancelot bei allem, was das Spital betraf, ein Machtwort mitzureden gehabt —
von der Wahl eines neuen Spezialisten angefangen bis zur Wahl einer neuen
Bodenpaste —, bis er überzeugt war, es sei ihm ebenso natürlich unterworfen wie
dem Gravitationsgesetz, und er ebenso wie dieses für eine geregelte Planung
menschlicher Belange unerläßlich; doch er war einer der letzten jener
Generation von Chirurgen, die einst so pompös die steinernen Edwardischen
Korridore durchwandelten, und seine Liebe zu seinem Spital stand nur um ein
Geringes hinter der Liebe zu seinem Land und seiner Familie
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