Dr. Gordon wird Vater
passé.»
Ich wußte, daß er auf seine
Vielseitigkeit stolz war, die er noch in seiner letzten Woche im St. Swithin
zur Schau gestellt hatte, indem er darauf bestand, eine Mandeloperation vorzunehmen.
(Diese Demonstration erwies sich allerdings nicht als voller Erfolg; als der
Patient keine Miene machte zu genesen, riet der herbeigerufene Spezialist für
Halserkrankungen, die Mandeln zu entfernen.)
«Schau dir einmal diesen
Krankenkassen-Rummel an», fuhr Sir Lancelot fort, nachdem das letzte Brötchen verschwunden war. «Nicht, daß ich die Krankenkassen mißbillige.
Ich mißbillige nichts, was die Leute veranlaßt, den Arzt zu rufen, bevor es
Zeit ist, den Geistlichen zu rufen. Ich wende lediglich ein, daß wir Ärzte von
menschlichen Belangen mehr verstehen als alle diese Politiker in Whitehall.
Aber es mußte wohl so kommen. Mit Bier können sie die Wähler nicht mehr
bestechen, folglich müssen sie’s mit Bromiden tun. Was gibt’s zum Dinner?»
«Hühnermajonnaise», erwiderte Nicky.
Mit Freuden stellte ich fest, daß
Nickys Voreingenommenheit gegen Sir Lancelot rasch abnahm, der — wenn er es
darauf anlegte — nicht nur Vögel von den Bäumen, sondern auch Organe aus
widerspenstigen Patienten zu locken vermochte.
«Und eine Flasche Niersteiner, Jahrgang
1952», fügte ich hinzu.
«Bravo! Ist es nicht bemerkenswert,
Gordon», fuhr Sir Lancelot liebenswürdig fort, «wie sehr in der Medizin
Vergleiche mit Nahrungsmitteln aus der Mode gekommen sind? Kann mich noch gut
erinnern, wie häufig wir Ausdrücke wie Pflaumenmus-Sputum oder
Sardellensauce-Sputum, Portwein-Urin oder Kaffeesatz-Vomitus verwendeten. Jetzt
wird alles einfach chemisch untersucht und in Kubikzentimetern gemessen —»
«Einen Augenblick, Sir», unterbrach ich
ihn und stand auf.
Seit einigen Minuten war mir
aufgefallen, wie vorzeitig sich unser Wohnzimmer verdunkelte. Schon trauerte
ich darüber, daß ein herannahendes Gewitter den freundlichen
Spätaugustnachmittag bedräute, als ich einen großen Möbelwagen gewahrte, der
den Ausblick aus dem straßenseitigen Fenster versperrte. Ich öffnete neugierig
die Eingangstüre; draußen standen vier Männer in weißen Arbeitsmänteln.
«Is hier Alderman’s Drive Nummer 16?»
fragte ihr Anführer.
«Ja, gewiß. Aber ich habe keinen
Auftrag für Sie.»
«Wir kommen das Zeug abholen.»
«Zeug? Was für ein Zeug?»
«Na, das ganze Zeug, natürlich.»
«Ich verstehe nicht ganz —»
«Das Zeug, was im Haus drin is.»
Mit Gefühlen, die denen Grimsdykes im
Savoy Hotel in Poparapetl ähneln mochten, bemerkte ich die Aufschrift an der
Seite des Lastautos: Hamble & Grimley, Eiltransporte.
«Es muß sich um einen Irrtum handeln»,
versetzte ich eindringlich.
«Schaut aber gar nicht nach einem
Irrtum aus, Chef. Lesen Sie doch mal, was hier aufm Papier steht: «Effekten aus
Wohnung in Lager überführen Dienstag vier Uhr im Auftrag von Mrs. Marston.»
Könnt gar nicht klarer sein, was?»
«Aber was hat das alles mit Mrs.
Marston zu tun?»
«Wir haben die Anweisung, Chef.» Der
Mann wandte sich seinen Gefährten zu. «Hier sind wir richtig, Jungens. Nichts
wie ’rein.»
Die vier begannen sich in Bewegung zu
setzen.
«Hören Sie mich nur eine Minute an —»
«Machen Sie keine Umstände, Chef. Wir
müssen unsern Job erledigen.»
«Verdammt nochmal! Haben Sie denn nicht
den kleinsten Rest von gesundem Menschenverstand?»
«Gesundem Menschenverstand? Möcht
wissen, wer’s hier dran fehlen läßt, he?»
Unsere kurze, aber eindringliche
Auseinandersetzung auf der Türschwelle wurde durch die lautstarke Ankunft eines
offenen scharlachroten Jaguar unterbrochen, an dessen Lenkrad Mrs. Marsston in
eigener Person saß.
«Wer sind diese Leute?» fragte sie
unverzüglich, mich ins Auge fassend. «Ach, der Doktor!» rief sie. «Hat sich
dieses dreckige Schwein am Ende doch die Gurgel durchgeschnitten, wie? Wenn ja,
so lassen Sie den elenden Hund ruhig zu Tode bluten. Sie können mir aufs Wort
glauben, es ist nicht schade um ihn.»
«Nur einen Moment, Mrs. Marston», sagte
ich nervös. «Ich fürchte, es hat sich da eine Art Durcheinander ergeben.»
«Das möchte ich meinen!» Sie warf ihre
leuchtendrote Mähne zurück. «Kann man wohl sagen, Durcheinander! Und sollte er
mir noch einmal unter die Hände kommen, werde ich ihn so gehörig
durcheinanderbeuteln, daß er für nichts anderes mehr taugt als für die
Schreckenskammer im Panoptikum der Madame Tussaud, wo er schon seit Jahren
gelandet
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