Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Gordon wird Vater

Dr. Gordon wird Vater

Titel: Dr. Gordon wird Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
Vom Netzwerk:
rosiger Mann mit halbmondförmigen Augengläsern, ein ins
Chirurgische übersetzter Mr. Pickwick; seine Geistesabwesenheit war im Spital
berüchtigt. Einen Bauch vergaß er — zum Glück für seine Patienten — nie, doch
er war im allgemeinen außerstande, sich zu erinnern,
wohin er ging, woher er gekommen war oder ob er bereits zu Mittag gegessen
hatte. Da die Taschenkalender, mit denen er allweihnachtlich überschüttet
wurde, um die Osterzeit bereits in ganz London verstreut waren, meisterte er
sein tägliches Leben nur dadurch, daß er, ähnlich wie Pawlows Hunde, mittels
einer Serie koordinierter Reflexe von einer Tätigkeit zur nächsten schritt.
Vielleicht war er einer der letzten exzentrischen Ärzte, die
unerfreulicherweise im Aussterben begriffen sind seit jenen Tagen des
achtzehnten Jahrhunderts, da der Chirurg John Sheldon darauf bestand, seine
tote Geliebte einzubalsamieren und in seinem Schlafzimmer aufzubewahren, bis
seine Frau sie schließlich doch vor die Tür setzte.
    «Wissen Sie zufällig, Richard», begann
Mr. Cambridge, indem er geistesabwesend ein Formular für Kontrastmahlzeit
zerschnitzelte, «was Ihren Taufpaten nach London geführt hat?»
    «Oh, nichts Besonderes. Eine
Familienangelegenheit — es handelt sich um das Kind, das wir, wie ich Ihnen
erzählte, erwarten.»
    «Du lieber Gott, Sie erwarten ein Baby?
Ich wußte nicht einmal, daß Sie verheiratet sind. Aber haben Sie eine Ahnung»,
fuhr er unruhig fort, «wie lange er hierbleiben wird?»
    «Soviel ich weiß, sollte er bereits
weggefahren sein. Unsere Angelegenheit ist abgeschlossen — völlig
abgeschlossen. Ich habe keine Idee, wo er jetzt ist.»
    «Ich hab sie», sagte Mr. Cambridge. «Er
wohnt bei mir.»
    Eine Sekunde verstrich in
verständnisvollem Schweigen.
    «Bin natürlich entzückt», fuhr der
Chirurg fort. «Absolut entzückt. Er mag já ein recht schwieriger Gast sein,
aber man hat nicht oft Gelegenheit, einen derart hervorragenden Kollegen in
sein Heim einzuladen. Obgleich ich ihn, genau genommen, eigentlich gar nicht
eingeladen habe», meditierte er. «Irgendwie war er einfach da.»
    «Hat man ihn im Spital gesehen?» fragte
ich unverzüglich.
    «Gesehen? Mein lieber Junge, er verläßt
es kaum. Nun, da ihn keine klinische Routinearbeit in Atem hält, hat er
natürlich eine Menge Zeit, uns Besuche abzustatten. Obgleich dies, wie ich
gestehen muß, manchmal etwas peinlich ist. Noch dazu jetzt, wo ich mich grade
daran gewöhnt habe, ihn nicht mehr in meinem Operationssaal zu sehen.»
    Sir Lancelot hatte es sich mehrere
Jahre lang zur Gewohnheit gemacht, zwischen zwei eigenen Fällen in Mr.
Cambridges Operationssaal hineinzuplatzen, wobei er dem Chirurgen über die
Schulter lahme Witze zuwarf, wenn er guter Laune war, oder zehn Minuten in
eisigem Schweigen verharrte, dann laut aufschnaubte und seinen Abgang nahm,
wenn er übler Laune war.
    «Dabei fällt mir übrigens ein», fuhr
Mr. Cambridge fort, «er möchte Sie heute abend um halb sieben in meiner Wohnung
sprechen.» Er machte eine Pause, als er meinen Blick auffing. «Vielleicht würde
er sich bedeutend wohler fühlen, wenn er bei seinem Obst geblieben wäre», fügte
er hinzu. Er seufzte. «Und wir wahrscheinlich auch.»

14
     
    An
diesem Nachmittag war der klinische Dienst nur kurz. Nachher eilte Mr.
Cambridge in seine Privatordination in die Harley Street, um sich jener Patienten anzunehmen, denen die Besteuerung soviel
übriggelassen hatte, daß es zu der seinen hinzugeschlagen werden konnte; ich
hingegen rief Nicky an, bevor ich eine Stunde in der Spitalsbibliothek
vertrödelte und dann nordwärts zum Heim der Cambridges fuhr, das in Finchley lag.
    Mr. Cambridge hatte das Pech, Sir
Lancelots spezieller Protegé zu sein. In jenen Tagen, da mein Taufpate noch ein
rotbärtiger
    Mr. Spratt war und sich bereits eines
Rufes erfreute, der an seinen Operationsnachmittagen die Studenten aus den
Korridoren in den Hörsaal trieb — sowohl seiner ausgezeichneten Unterweisungen
wegen wie seiner ausgezeichneten und gar nicht zimmerreinen Anekdoten —, hatte
er die chirurgischen Talente des jungen Cambridge entdeckt und im stillen
beschlossen, sich den Jungen heranzuziehen. Mr. Cambridge selbst plante, nach
Erwerbung seines Doktortitels in den unblutigen Frieden der Universität
zurückzukehren und, gravitätisch Rauchwolken paffend, sowohl die Geranien wie
die Studenten im Hof des College heranwachsen zu sehen; doch am Nachmittag, da
die Prüfungsergebnisse verlautbar

Weitere Kostenlose Bücher