Dr. med. Erika Werner
…«
»Wenn ich es kann, Alf.« Sie streichelte über seine schweißnassen Haare. »Aber wie soll man hier noch helfen? Wir müssen die Schnittwunde zunähen und die Eltern benachrichtigen …«
»Nein! Noch nicht! Wir müssen jetzt überlegen, in aller Ruhe überlegen.« Dr. Bornholm hob den Kopf. Taumelnd zog er sich am OP-Tisch hoch. Er kippte Helgas Körper wieder in die Waagrechte. Seine Hände und Arme zitterten dabei wie in einem wilden Krampf.
»Du mußt mir helfen …«, stotterte er wieder, als gäbe es jetzt keine anderen Gedanken. »Du mußt mir helfen, Erika. Das hier darf nicht gewesen sein …«
»Wie stellst du dir das vor, Alf? Wir können doch nicht den Tod verheimlichen?! Das ist doch unmöglich. Wir sind verpflichtet, sofort die Hinterbliebenen … Und überhaupt: Was kannst du daran ändern? Sie ist doch zu dir gekommen, Alf … sie allein hatte doch Schuld, als sie …«
»Ja! Ja!« schrie Bornholm. »Sie kam zu mir … aber … Erika, hilf mir! Hilf mir ohne zu fragen …«
Erika Werner blickte mit einem leisen Schauer auf die mit den heißen Kompressen zugedeckte Tote. Sie hatte viele Leichen gesehen … aber dieser leblose Körper, der noch immer auf dem OP-Tisch festgeschnallt lag, war nicht eine der vielen toten Hüllen, denen sie begegnet war … er war eine Gefahr. Eine persönliche Gefahr für Alf Bornholm, und damit auch für sie.
»Was soll ich tun?« fragte sie leise, als könne ihre Stimme den ewigen Schlaf des Mädchens stören.
»Zunächst unbemerkt in den Eiskeller.« Bornholm rannte zu dem großen Waschbecken in der OP-Ecke, riß sich das Hemd und Unterhemd vom Leib und wusch sich mit heißem, dampfendem Wasser. Er sah aus, als habe er in Blut gebadet. »Dann stellen wir eine ordnungsgemäße Einweisung aus und einen Totenschein. Das wirst du tun …«
Erika nickte. »Ja …«
»Du wirst die Todesursache schreiben: Herzinsuffizienz.«
»Aber der Pfannstielschnitt …«
»Wenn sie eingesargt ist, wird keiner mehr nachsehen.«
»Und wenn die Hinterbliebenen eine Obduktion verlangen?«
»Sie werden es nicht. Andernfalls werde ich die Obduktion vornehmen. Mit Rahtenau komme ich klar …«
»Natürlich«, sagte Erika bitter.
»Jetzt keine Szenen, Erika! Es geht um meine Stellung, meine Karriere, meinen ärztlichen Ruf … es geht im großen gesehen auch um uns …« Er drehte die zerrissenen Hemden zusammen und zog die Anzugjacke über den bloßen Oberkörper. »Die Hemden mußt du verbrennen. Hast du einen Ofen zu Hause?«
»Ja …« Erika nahm das blutige Stoffbündel und drehte es in ein sauberes großes Handtuch. »Aber warum diese Heimlichkeiten, Alf?! Dich trifft doch gar keine Schuld! Sie hat doch selbst die Verletzung …«
Bornholm schnallte Helga los. Als er ihre kalte Haut berührte, fuhr die Kälte wie ein elektrischer Schlag durch ihn. Ich habe sie getötet, dachte er verzweifelt. Ich habe einen Kunstfehler gemacht. Ich habe gegen das ärztliche Gewissen … ich habe … mein Gott, o mein Gott …
»Ich werde dir alles später erklären …« Er sah wieder auf die Uhr in der OP-Wand. Zwei Uhr nachts. Um fünf Uhr kamen die Putzfrauen. Dann durfte nichts, gar nichts mehr zu sehen sein. »Wir müssen sie waschen und alles wieder an seinen Platz stellen. Sie darf nie im OP gewesen sein, verstehst du. Sie hat sich in der Nacht bei dir gemeldet. Und ehe du sie untersuchen konntest, ist sie gestorben. Das mußt du erzählen.«
»Sie muß, wenn sie zu mir kommt, bei der Pfortenschwester vorbei …« Erika Werner sah Bornholm plötzlich kritisch an. »Wie ist sie überhaupt ins Haus gekommen? Bist du nicht mit ihr durch die Aufnahme gekommen?«
»Nein!«
»Aber –«
»Ich habe sie …« Bornholm schluckte. Er warf die Kompressen ab. Mit zitternden Fingern vernähte er die große Unterbauchschnittwunde und klebte Heftpflaster über die häßliche, rote Narbe. »Frage nicht – hilf mir! Wenn du mich liebst …«
»Es ist alles so merkwürdig, Alf. Wir sollten jetzt wirklich nicht von Liebe sprechen.«
»Wasch sie!« sagte Bornholm laut.
Wortlos wusch Erika die Tote. Dann deckten sie sie mit einem Leinentuch zu, holten vom Flur eine der fahrbaren Bahren und rollten sie zum Aufzug.
Im Keller ging Bornholm voraus, öffnete den Kühlraum, in dem die Gestorbenen bis zur Einsargung aufbewahrt wurden, und drehte das Licht an.
Sieben stumme, zugedeckte Gestalten standen bereits in der Kälte, die ihnen entgegenschlug. Erika schob die Bahre neben die anderen
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