Dr. med. Erika Werner
Toten. Dann befestigte sie an der großen Zehe einen Zettel, der auf einem der Tische lag. Den Kontrollzettel für den am Morgen kommenden Leichenwärter.
»Wie hieß sie?« fragte sie.
»Helga Herwarth. Dreiundzwanzig Jahre alt. Gestorben an Herzinsuffizienz …« Bornholm diktierte es mit fester Stimme. Er hatte sich von seinem Schock erholt. Der nüchterne Kampf gegen die Wahrheit begann, der verzweifelte Kampf um seine Karriere.
Erika Werner schrieb, was Bornholm ihr sagte. Dann knipste sie das Licht aus, und sie fuhren mit dem Aufzug wieder hinauf zum OP-Trakt.
Bis gegen 4 Uhr säuberten sie den blutverschmierten Saal. Sie schrubbten den Boden, reinigten die Instrumente, seiften den OP-Tisch ab und rollten die blutigen Kompressen zusammen. Bornholm überzeugte sich, daß in der Wäschetruhe noch die gebrauchten Tücher der letzten Operation lagen. Er warf die Kompressen und Handtücher dazu. Niemandem würde es auffallen. Am frühen Morgen würden die Mädchen von der Wäscherei die Truhen abholen.
Bornholm überblickte den blitzsauberen OP. Erschöpft lehnte Erika an der gekachelten Wand.
»So ist es gut, Liebes«, sagte er mit einem schwachen Lächeln. »Und nun geh schlafen … Morgen früh stellst du den Totenschein aus und rufst den Vater an …«
»Ich? Den Vater? Und wo wirst du sein?«
»Ich habe morgen zwei Vorlesungen und eine Besprechung mit dem Strahleninstitut.«
»Du willst nichts damit zu tun haben, nicht wahr? Du bist in dieser Nacht gar nicht hier gewesen.«
»Richtig. Du wirst mir morgen offiziell Bericht erstatten über diesen tragischen Todesfall …«
»Aber keiner hat sie hereinkommen sehen.«
»Das ist Sache der Pfortenschwester. Helga Herwarth war eben plötzlich in deinem Zimmer. Und ihre Leiche ist der Beweis, daß sie irgendwie ins Haus gekommen ist. Du weißt es nicht … Halt!« Bornholm sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Es ist jetzt 4 Uhr. Du rufst sofort die Pfortenschwester an und beschwerst dich, daß sie einen sterbenden Patienten nicht angemeldet hat. Du machst Krach, einen gewaltigen Krach! Ich werde mich morgen anschließen! Rahtenau selbst wird untersuchen, wie die Sterbende ins Haus kam … Keiner wird es wissen …«
»Und wie kam sie herein?«
»Ich habe sie mitgebracht, du weißt es doch. Ich bin durch den Laboreingang gekommen. Sie hat mich angefleht, daß es nie bekannt wird. Ich habe dummerweise nachgegeben. Auch das ist etwas, was keiner wissen darf. Wir müssen es so hinstellen, als sei alles voller Geheimnisse. Keiner wird sie lösen können!«
Erika nickte. Aber ihre großen Augen fragten. Bornholm konnte diesem Blick nicht standhalten. Er wandte sich ab.
Und so begann noch in der abdämmernden Nacht eine Tragödie, die die ganze Klinik erfaßte.
Die Nachtschwester und die Pfortenschwester hörten entsetzt, was geschehen war. Dr. Erika Werner schrie sie an, und sie hörten sprachlos zu und verstanden nicht, was man ihnen vorwarf.
»Es hat niemand geschellt!« stotterte die Pfortenschwester. »Ich habe die ganze Nacht …«
»Aber sie ist hier und gestorben!« schrie Erika. »Sie kann doch nicht durchs Schlüsselloch kommen!«
»Ich verstehe das nicht …« Die Pfortenschwester setzte sich erschüttert. Ihre zitternde Hand konnte kaum noch den Hörer halten. »Die ganze Nacht habe ich wachgesessen –«
Während Erika das Haus alarmierte, verließ Bornholm ungesehen durch den Hintereingang und die kleine Mauerpforte die Klinik. Mit hochgeschlagenem Mantelkragen, mit bloßem Oberkörper rannte er zum Parkplatz, warf sich in seinen Wagen und fuhr schnell aus dem Bereich des Krankenhauses. Zu Hause stürzte er sich auf die kleine, in den Bücherschrank eingebaute Hausbar und trank Cognac, bis die Kehle brannte und der Alkohol ihn schwanken ließ. Da erst setzte er die Flasche ab, warf sich auf das Sofa, schleuderte seine Jacke in eine Ecke und schlief mit nacktem Oberkörper ein, fast besinnungslos von dem Alkohol.
Um zehn Uhr betrat Professor Dr. Rahtenau die Klinik.
Schon beim Vorfahren bemerkte er, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein mußte. Der Tagespförtner lief ihm nicht entgegen – niemand kam ihm entgegengelaufen. In der Eingangshalle standen zehn Schwestern mit der Oberin an der Spitze und schienen auf Professor Rahtenau zu warten. Denn kaum kam er durch die Tür, stürzte die Oberin mit wehender Haube auf ihn zu.
»Noch nie ist das vorgekommen, Herr Professor!« rief sie händeringend. »Schwester Euphoria hat einen
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