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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
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am dringendsten gebraucht wurde.
    „Sagen Sie das noch mal“, flüsterte er.
    „Das nicht. Die Spur führt in die Champagne“, wiederholte Dr. Laudtner.
    „Aber ... ich bin in der Champagne“, sagte Wieri leise.
    „Sie sind ...“ Dr. Laudtner traute seinen Ohren nicht. „Das ist ja ... Wieri, ich fange noch an, diesen ganzen Klimbim zu glauben, von dem Sie immer reden. Das ist ja wunderbar. Aber was machen Sie da?“
    „Diesen Klimbim nennt man Religion. Und wie ich Ihnen gesagt habe, bin ich verreist, um ein Buch zu suchen“, sagte Wieri abweisend. „Aber das ist jetzt nicht so wichtig für Sie. Geben Sie mir die Adresse, unter der Dr. Ohio abgestiegen ist. Dann werde ich die Sache ein für alle Mal erledigen.“
    Dr. Laudtner zögerte am anderen Ende.
    „Was ist denn?“, fragte Wieri ungeduldig.
    „Was heißt denn ,ein für alle Mal’? Wieri, das klingt ziemlich endgültig.“
    „Möchten Sie endlich diese elende Stiftung gründen? Möchten Sie das Geld? Möchten Sie Ihre Ruhe?“, schnauzte der Calvinist in den Hörer.
    „Dreimal ja“, sagte Dr. Laudtner. „Aber ich hab die Adresse nicht. Ich gebe Sie Ihnen durch, sobald ich sie habe.“ Was ging es denn ihn an, was der Finne unter „die Sache ein für alle Mal erledigen“ verstand. Hauptsache, er konnte an das Geld ran.
    Värie Wieri hatte eine gute Nacht, fühlte er sich doch ganz geborgen in der Hand Gottes, die ihn leitete und ihm den richtigen Weg zeigte. Ein deutlicheres Zeichen konnte ihm nicht widerfahren. In dieser Gegend würde sich sein Schicksal erfüllen, so wie es auch Calvin schon ging. Hier würde er endgültig abrechnen mit den Feinden des Glaubens – Laudtner hatte ihm noch mitgeteilt, dass Ohio seine herausgeputzte Assistentin bei sich hatte – und das Buch finden.
    Wie tief war sein Sturz aus den glückseligen Höhen des Himmels, als Dr. Laudtner ihn am nächsten Mittag anrief, um ihm mitzuteilen, dass Ohio und seine Assistentin im East Western Hotel in Épernay abgestiegen waren.
    „East Western? Épernay?“, blaffte er ins Handy. „Nie gehört.“
    „Na, Mann. Épernay“, sagte Laudtner irritiert. „Sind Sie in der Champagne oder nicht? Épernay liegt im Herzen der Champagne, die berühmtesten Champagner-Häuser haben dort ihren Sitz.“
    Ein Donnergrollen am Himmel kündigte ein Gewitter an. Wieri blickte aus dem Fenster und sah weit in der Ferne, wie sich über den Bergen hinter Genf ein dunkler Wolkenturm zusammenballte.
    „Oh, mein Gott“, flüsterte er. Auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Ja, natürlich. Die Champagne. Diese kleine französische Provinz, aus der das Prickelwasser kam, nach dem alle Welt so verrückt war. Dieser dekadente Hort des frivolen Trinkens.  Die  Champagne war natürlich gemeint. Wie hatte er auch nur einen kleinen Augenblick lang annehmen können, Höpfners Neffe, Dr. Ohio und seine aufreizende Assistentin würden sich in seiner, Wieris, gottgefälligen kleinen Champagne im sanften, hügeligen Hinterland Genfs aufhalten?
    Dr. Laudtner war stutzig geworden.
    „Wieri?“, fragte er. „Wo, verdammt noch mal, sind Sie?“
    „Épernay, East Western Hotel“, murmelte Wieri tonlos. „Frankreich. Ich bin spätestens morgen dort. Versprochen. Und dann wird dieses Problem aus der Welt geschafft.“ Er legte auf. Ja, und nun saß er erst mal fest zwischen Blitzen, Donnergrollen und Regenschauern und wartete in der „Auberge de Lion“ ungeduldig auf den neuen Tag, um mit dem nächsten Zug von Genf aus in die Champagne zu fahren. Die französische Champagne. Das Buch würde warten müssen. Wieder einmal. Wieri sah es vor sich, wie es auf dem Speicher eines alten Bauernhauses lag, wohlbehütet in einer dieser alten Holzkisten, und seiner Entdeckung harrte. Gebunden in hart und schwarz gewordenes Ziegenleder, störrisch wie ein Schild oder Panzer gegen die Unbilden der Natur. Warm und behütet, eingewickelt in ein grobes, robustes Tuch, während draußen der Sturm über das Haus, die Kiste und das Buch hinwegzog. Während draußen viele Stürme über es hinweggezogen waren.
    Aber was – und dieser Gedanke trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn –, wenn es nicht so wohlbehütet in seiner Kiste lag? Wenn vielleicht ausgerechnet der heutige Sturm derjenige wäre, der den Schutzwall aus Kiste, Tuch und Einband, der jahrhundertelang standgehalten hatte, durchdringen und die Seiten nässen würde. Er sah buchstäblich die alte Tinte, die heilige Schrift des Meisters, in

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