Dr. Ohio und der zweite Erbe
Und Dr. Ohio hatte sich an seine Gehülfin gewöhnt wie ..., ja wie? Er war sich ihrer schon länger bewusst und er kannte auch die anzüglichen Bemerkungen – nicht gerade Bemerkungen, vielleicht Blicke, Augenflattern, Augenzwinkern wie das von Manstorff, das ihm doppelt widerlich war, seitdem er wusste, dass er Brigitte betrogen hatte – der Männer, wenn es um seine Assistentin ging. Aber auch Brigitte hatte über sie, über ihr angebliches Faible für ihn, gelächelt.
Sie war ihm eine große Hilfe, das schon. Aber es war etwas mehr als das geworden, während sie die Abende im Restaurant oder an der Bar verbrachten. Sie war ihm angenehm, und wenn sie sich dann schließlich verabschiedeten und jeder auf sein Zimmer ging, dann blieb eine kleine Leere zurück, so als ob die Luft ein bisschen dünner und ein bisschen kühler geworden wäre. Und wenn sie zusammensaßen und sich unterhielten, und Erika mit ihrer Stimme wie dunkler Honig etwas beschrieb, wie zum Beispiel die Herstellung von Rosé-Champagner, dabei vielleicht mit der Hand ihre Worte mit einer bestimmten, ihr eigenen Geste untermalte und ihn mit ihren kühlen, grauen Augen anlächelte, Aufmerksamkeit fordernd, dann wurde ihm wärmer und die Luft schien die richtige Konsistenz zum Atmen zu haben.
Überhaupt konnte sie auf viele verschiedene Arten lächeln, sie konnte ihre Augen zuschalten oder während eines Lächelns komplett einfrieren. Das ging, pling, so schnell, als würde man einen Schalter umlegen.
Nach dem dritten Abend mit ihr bemerkte Dr. Ohio, dass Brigitte und ihre Probleme, die anfangs noch sein Denken beherrscht hatten, in weite Ferne gerückt waren. Und das war ja auch ein Zweck der Reise gewesen: Er wollte Abstand gewinnen und, ganz unabhängig davon, was Brigitte planen würde, sich klar darüber werden, was er denn wollte. Dafür kamen die Abende mit Erika gerade recht. Und, um ehrlich zu sein – es war ja albern, aber ... –, war sie nicht selbst wie Champagner, so frisch und klar? Und war sie nicht wie dieses Land, weich und sanft im Sommer, flirrend wie das Licht, das durch die Blätter der alten Eichen schien, und dunkel und unergründlich wie die grüne Marne? Und dann kühl und abweisend wie der Herbst mit seinen vielen Farben, dem eisigen Atem vor dem Mund und dann wieder Hoffnung verheißend an den milden Sonnentagen, wenn der Nebel aus dem Flusstal die Hänge heraufklettert. Und sie konnte ja schroff und verletzend sein, wie das Land, wenn der Winter seine dünne Eisschicht über die strengen Gesichter der Bauern und die dunkle Erde legte ...
Du meine Güte. Er musste betrunken sein. Unwillig schüttelte er den Kopf. Erika sah ihn erstaunt an. Sie saßen am Abend in der Hotelbar und hatten gerade beratschlagt, wo sie morgen am besten nach Boris suchen sollten.
„Stimmt was nicht?“, fragte Erika. Dr. Ohio schüttelte den Kopf.
„Nein, nein.“ Dass er sich, was er nie für möglich gehalten hätte, vielleicht doch in seine Assistentin verliebt hatte oder kurz davor stand, daran dachte er nicht. Aber Erika dachte daran und spürte eine gewisse Veränderung.
Das war der Stand der Dinge, als sie, von der Suche nach dem Erben Höpfners schon fast verzweifelt, aber hoffnungsvoll in Bezug auf die Möglichkeiten des Lebens, auf Boris trafen. Sie hatten vorgehabt, sich auch hier noch nach ihm zu erkundigen und die Führung durch die Weinkeller von Mercier mitzumachen.
„Da ist er“, sagte Erika tonlos und zupfte Dr. Ohio am Ärmel. „Mein Gott, das gibt’s doch nicht. Das muss er sein.“ Sie blieb mitten auf dem Parkplatz stehen und starrte stur in eine Richtung. Ohio folgte ihrem Blick. Er sah einen jungen Mann mit wuscheligen, schwarzen Haaren, der aus einem altersschwachen Peugeot stieg und ein paar Gummistiefel im Kofferraum verstaute. Schnurstracks steuerte er auf den jungen Mann zu, Erika im Schlepptau.
„Was machen Sie denn hier?“, rief er fassungslos, als er neben ihm stand. Boris sah ihn überrascht an. An Erika blieb sein Blick ein bisschen länger hängen.
Er lächelte irritiert und sagte: „Ich arbeite hier.“ Und nach einer Pause: „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht. Oder kennen wir uns?“ Boris nutzte die Gelegenheit, um Erika noch etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
„Das ist die Frage, mit der ich mich täglich beschäftige“, sagte Dr. Ohio. „Kennen wir uns selbst wirklich – und wenn ja, zu wie viel Prozent?“
Erika gab ihm mit dem Ellbogen einen Stoß in die Rippen.
„Sie
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