Dr. Poptlok Luktor und die Farben des Glücks (German Edition)
Lehrerin zu fahren und um ihr Heft zu bitten. Sie musste es ver nich ten, komme, was da wolle. Ihrer Mutter erklärte sie, sie würde mit dem Fahrrad losfahren und ihn suchen.
Die Mutter war einverstanden. Sie selbst wollte bei verschiedenen Klassenkameraden von Jakob anrufen, ob er eventuell dort wäre oder ob sie etwas von ihm wüssten.
Regine trat in die Pedale. Bald war sie in der Innenstadt. Zum Glück kannte sie die Adresse der Lehrerin; die hatte sie vorher im Telefonbuch gefunden. Und zum Glück wusste sie auch, wo die Straße war. Endlich erreichte sie das Haus. Sie lehnte ihr Fahrrad an den Zaun. Dann ging sie mit klopfendem Herzen den geplatteten Weg auf das Mehrfamilienhaus zu. Sie atmete dreimal tief durch, bevor sie den obersten der drei Klingelknöpfe drückte. Ein hässlicher Summlaut ließ sie zusammenzucken. Sie hielt die Luft an und lauschte? Gleich müsste sie eine Stimme aus der Sprechanlage hören.
Aber es geschah nichts. Alles blieb still. Sie klingelte ein zweites, ein drittes, ein viertes Mal. Ohne Erfolg. Niemand rührte sich.
Plötzlich öffnete sich die Haustür. Ein alter Mann trat heraus.
Er zog seine Brille aus der Brusttasche seines karierten Hemdes, setzte sie auf und musterte das Mädchen misstrauisch durch die dicken Gläser. „Zu wem willst du denn?“
„Zu meiner Lehrerin“, hauchte Regine und deutete auf den obersten Klingelknopf.
„Die ist gestern in Urlaub gefahren. Sie kommt erst nächsten Samstag zurück“, teilte der Mann ihr mit.
„O nein!“, schluchzte Regine auf und rannte zu ihrem Fahrrad.
Der Mann schaute ihr kopfschüttelnd nach.
Regine war so erschüttert, dass ihr heiß und kalt wurde. Tausend Gedanken jagten wie schnell abgefeuerte Gewehrsalven durch ihren Kopf. Nachdem sie geistesabwesend ihr Fahrrad bestiegen hatte, zockelte sie die Straße entlang, ohne auf ihren Weg zu achten. Später wurde sie gewahr, dass sie sich am Rande des Stadtparks befand. Sie stieg ab, stellte ihr Rad neben eine Bank und setzte sich. Was sollte sie jetzt tun? Etwa in die Wohnung der Lehrerin einbrechen? Doch sie war keine Einbrecherin; sie wusste nicht, wie man das machte. Sie wischte sich mit einer heftigen Bewegung die Tränen aus den Augen. Das schlechte Gewissen, vermengt mit der Angst um Jakob, drückten entsetzlich in ihrer Körpermitte, wie ein großer, schwerer Pflasterstein.
„Hallo Regine! Bist du auch in der Stadt unterwegs?“, sprach sie plötzlich jemand an.
Regine hob ihren Blick. Es war Frau Kux. Die trug einen mächtigen, schweren Rucksack auf dem Rücken, in den sie vermutlich ihre Einkäufe gepackt hatte. In dieser Haltung erinnerte sie Regine an die Hexe Zawarima.
„Sie tragen einen Rucksack?“, fragte Regine.
„Ja, warum denn nicht. Der ist sehr praktisch. Da habe ich die Hände frei. Außerdem trägt sich's auf dem Rücken leichter. Führst du nicht auch deine Schulsachen auf dem Rücken mit dir mit?“
Regine nickte und sah niedergeschlagen auf den Teer zu ihren Füßen. Frau Kux hatte sie wieder an ihr Schulheft erinnert.
„Es ist so ein schöner Tag heute, die Sonne strahlt und leuchtet am wolkenlosen Himmel und du bist so bedrückt, als würdest du hier auf ein Ungeheuer warten. Was macht dich denn so mutlos?“ Die Nachbarin befreite sich von ihrer Bürde, die sie an die Kante der Bank lehnte, und setzte sich neben das Mädchen.
Regine erzählte ihr von ihrem Aufsatz, von Karlis Befürchtung, dass die darin geschilderte Szene wahr werden könnte, dass ihr Bruder tatsächlich verschwunden sei und sie jetzt um ihn Angst habe. Sie verschwieg auch nicht, dass sie gerade bei ihrer Lehrerin geklingelt habe, dass sie ihr Deutsch heft habe zurückfordern wollen, um es zu vernichten, dass aber die Lehrerin nicht da gewesen sei.
Frau Kux hatte ihr aufmerksam zugehört. Sie wollte nun wissen, was Regine denn geschrieben habe. Als die es ihr berichtete, meinte Frau Kux, dass man da durchaus was dagegen tun könne.
„Lass uns gemeinsam nach Hause gehen. Dann kommst du mit zu mir und wir schreiben den Aufsatz so um, dass für Jakob keine Gefahr mehr besteht“, schlug sie vor.
„Und das geht?“ Regine hob hoffnungsvoll ihren Kopf.
„Ja, das geht.“
Die Nachbarin lud ihren gewichtigen Rucksack auf Regines Gepäckträger. „Fahr schon mal zu“, sagte sie. „Ich komme im Dauerlauf nach.“
Weil Regine sie mit offenem Mund verdattert anstarrte, lachte sie: „So alt bin ich nun auch wieder nicht, dass ich nicht noch laufen
Weitere Kostenlose Bücher