Dr. Poptlok Luktor und die Farben des Glücks (German Edition)
könnte!“
Sie kam tatsächlich nur wenige Minuten später als Regine bei ihrem Anwesen an. Natürlich hatte Regine wegen der zusätzlichen Last auf ihrem Fahrrad langsamer fahren müssen. Trotzdem fand die es beachtlich, wie gut und schnell die alte Frau zu Fuß war.
Es war das erste Mal, dass Regine das Nachbarhaus betrat. Die Einrichtung war alt. Anscheinend hatte Frau Kux die von den Personen übernommen, die vorher hier gewohnt hatten.
„Komm, setz dich an den Küchentisch. Ich hole Bleistift und Papier“, lud Frau Kux das Mädchen ein.
Regine ließ sich auf einem der alten Holzstühle nieder. Sie fuhr über das rotweiß geblümte Wachs tisch tuch, das sicherlich eine hässliche Tischplatte verbarg.
„Also: Du hast von Farn geschrieben, der euch aus Tausenden von Augen angestarrt hatte?“ Frau Kux setzte sich zu ihr auf den anderen Stuhl.
Regine nickte.
„Dann schreib jetzt: Wir glaubten, es waren Tausende von Augen, aber in Wirklichkeit waren es... Nun was wohl?“
„Nur Sonnenflecken.“
„Gut!“
Regine brachte das in flottem Tempo aufs Papier. Dann ergänzte sie: „Die Spinne war eigentlich ganz klein, jedenfalls nicht größer als eine Winkelspinne. Ihre Spinnfäden konnte man auch gut abstreifen, es war gar nicht nötig, sie mit dem blutigen Messer zu zerschneiden. Die Spinne verfolgte uns genau genommen gar nicht; sie war nämlich selbst auf der Flucht vor einem feindlichen Lebewesen und lief zufällig in dieselbe Richtung wie wir.“
„Na also“, lobte Frau Kux. „Jetzt hast du den Bann gebrochen. Jetzt kann ihm das nicht mehr passieren, was du befürchtet hast.“
Doch auf einmal brach Regine in Tränen aus: „Und wenn ich nun zu spät dran bin? Wenn es ihm schon passiert ist?“ Sie stützte die Ellbogen auf und vergrub ihr Gesicht in den geöffneten Händen.
Frau Kux sah sie ernst an und legte nachdenklich Zeige- und Mittelfinger über den Mund. „Hast du etwas bei dir, was ihm gehört?“
Die Frage überraschte Regine. Was hatte Frau Kux vor? Regine hob den Kopf und wischte sich die Tränen fort. Ihr fiel der kleine Vollgummiball ein, den sie heute im Giersch gefunden und einge steckt hatte. Sie reichte der Nachbarin den Ball.
Die trat damit ans Fenster und schien ihre Gedanken und Gefühle in unerreichbare Entfernung zu lenken. Nach einer Weile drehte sie sich zu Regine um; ihr Blick war noch immer in die Weite gerichtet. Da fiel Regine zum ersten Mal auf, dass ihre Augen himmelblau waren.
Frau Kux sprach: „Jakob war tatsächlich in großer Gefahr, ausgelöst durch eine Spinne. Aber inzwischen ist er in Sicherheit. Er wird heute Abend, spätestens morgen früh zurückkommen.“
Regine starrte die Nachbarin an. Die wirkte auf einmal so fremd. Ihr wurde unbehaglich zumute. Aber da lächelte Frau Kux sie schon wieder an und erklärte: „Ich habe ein wenig hellseherische Fähigkeiten. Also, mach dir keine Sorgen mehr um Jakob. Er wird allerdings nicht ganz fit sein, wenn er heimkommt. Einen Tag wird er im Bett bleiben müssen. Danach wird er wieder voll in Form sein.“
Regine senkte betroffen ihre Augenlider. „Und ich bin schuld!“
„So darfst du das nicht sehn, Regine“, beschwichtigte die Nachbarin. „Ich habe noch mehr erschaut: Um Jakob noch zu schonen, beschließen deine Eltern, über die Kar- und Ostertage nicht wegzu fahren. Und dadurch entgeht ihr einem schweren Unfall. Auch für Jakob selbst ist dieses Erlebnis wichtig. Es bewahrt ihn davor, in späteren Gefahrensituationen kopflos zu handeln und unauf merksam und leichtsinnig zu sein. - Du siehst, das, was uns schlimm erscheint, ist gar nicht so selten sinnvoll, ja sogar rettend. Und noch was, Regine: Dein Bruder, du und wir alle stehen unter einem wirkungs vollen Schutz, den wir nie vergessen sollten. Ich bin sicher, deine Eltern, speziell deine Mutter, rufen jeden Tag die große, unendliche Kraft an und bitten um Schutz für dich und Jakob und die ganze Familie.“
Regine nickte. Stimmt. Genau dies gab ihr das Gefühl, geborgen zu sein.
Frau Kux fügte hinzu: „Wenn du Angst um einen Menschen hast, kannst du dich auch selbst an diese unerschöpfliche, unermessliche Schutzmacht wenden und um Hilfe rufen. Und dann vertrau einfach, dass alles gut wird!“
Regine spürte, wie die Gewissenslast von ihr abfiel wie ein Felsbrocken, der in die Tiefe donnerte. Getröstet und mit neuer Zuversicht stand sie auf. „Danke, Frau Kux. Jetzt geht es mir besser.“
Als Regine zu ihrem Elternhaus hinüberging,
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