Drachen-Mädchen
Antwort hatte anscheinend keiner gerechnet.
»Ach, das behauptet sie doch nur!« sagte Kotbold nach einer kurzen Pause. »Ist ja kein Hippogryph da, der den Bluff auffliegen lassen kann.«
»Doch, es gibt einen«, kreischte Haggy gehässig. »Er gehört dem Sohn der Hexe…«
»Xap«, sagte Chem. »Das Reittier von Xavier, dem Sohn der Xanthippe.«
Haggy sperrte ihren häßlich Mund auf. »Die kennt ihn ja!«
Kotbold war ebenso erstaunt. »War sie wirklich mit einem Hippogryph zusammen?«
»Muß sie ja wohl«, kreischte die Harpyie.
Die beiden blickten Irene an. »Was wißt Ihr davon?« wollte Kotbold wissen.
»Es stimmt«, erwiderte Irene. »Chem ist mit Xap unterwegs gewesen.«
»Dann ist sie ja schlimmer als wir!« kreischte Haggy empört.
»Allerdings!« stimmte Kotbold ihr zu.
Die beiden blickten einander erstaunt an. Sie waren ja plötzlich einer Meinung!
»Ist euch schon mal aufgefallen«, fragte Chem, »wie wenige Kobolde und Harpyien es im Vergleich zu früher nur noch gibt? Und wie viele Mischformen dafür blühen und gedeihen?«
Nun schwiegen Kobold und Harpyie mißmutig.
»Seid ihr noch nie auf den Gedanken gekommen, daß es eure Inzucht sein könnte, die eure Arten schwächt?« fuhr Chem fort.
»Auch die reinblütigen Menschen Xanths waren im Begriff, an Macht zu verlieren, bis sie sich mit frisch eingewanderten Mundaniern vermischten. Das wollten sie ursprünglich auch nicht, weil sie sich vor den Mundanierinvasionen fürchteten und die Mundanier wegen ihrer fehlenden Magie verachteten. Aber sie haben sich dennoch vermischt, und nun haben sie die Oberherrschaft, während Kobolde und Harpyien schwach sind, obwohl es früher doch einmal umgekehrt war. Wenn ihr euch weiterhin gegenseitig abschlachtet, werdet ihr schon bald völlig untergehen. Es wäre für beide Arten das beste, wenn ihr miteinander Frieden schließen würdet und es zuließet, daß ihr euch vermischt, wenn ihr wollt.«
»Lächerlich!« kreischte Haggy.
»Ekelhaft!« schrie Kotbold.
Wieder blickten sie einander an und mußten feststellen, daß sie beunruhigenderweise gleicher Meinung waren.
»Ich will euch etwas vorführen«, sagte Chem. »Ihr wißt beide, daß weder Kobolde noch Harpyien über magische Kräfte verfügen. Das ist auch ein Grund dafür, weshalb es beiden Arten in Xanth nicht mehr so gut geht.«
Die beiden nickten stumm.
»Dann schaut jetzt mal zu, was Hardy und Gloria miteinander machen.«
»Oh, nein, das werden wir nicht!« schrillte Haggy. »Wir sind ehrbare Wesen! Wir werden nicht stillsitzen und mit ansehen, wie man uns solche Obszönitäten vorführt, nicht wahr, Kotbold?«
»Ganz bestimmt nicht!« stimmte der Koboldhäuptling ihr mit Vehemenz zu. »Wir sind anständige, die Naturgesetze achtende Leute!«
Die Harpyie spreizte die Flügel, und der Kobold schwang sich auf den Mauerrand. Beide waren sie bereit, ins Innere des Mauervierecks zu springen, um den Anstand, wie sie ihn begriffen, zu bewahren. Doch die Gorgone kehrte ihr Gesicht erst dem einen, dann dem anderen zu, die Hand an die Haube gelegt, und sie beruhigten sich wieder ohne weitere Proteste. So wichtig war der Anstand auch wieder nicht!
Hardy und Gloria legten Hand in Klaue – und verschwanden. Haggy fiel vor Schreck beinahe von der Mauer.
»So sind sie also entkommen!« sagte Kotbold.
»Zusammen verfügen sie über magische Kräfte«, erklärte Chem, während die beiden wieder sichtbar wurden. »Zusammen besitzen sie eine Macht, über die niemand in euren beiden Arten allein verfügt. Zum ersten Mal in der Geschichte können Kobolde und Harpyien es in der Magie mit Menschen und Zentauren aufnehmen. Aber nur zusammen. Allein seid ihr nur ganz gewöhnliche Kreaturen, die ihre Macht an jene einbüßen, die Magie besitzen.«
Haggy starrte staunend das Paar an, das sich einmal mehr berührte und verschwand.
»Was würde ich nicht für eine solche Fähigkeit geben!« kreischte sie matt.
»Würdest du dich dafür mit einem Kobold einlassen?« fragte Chem.
»Niemals!«
»Was – niemals!«
»Na ja…«
»Aber vielleicht siehst du jetzt ein, daß es sinnvoll sein kann, andere Harpyien zu ihrer Magie finden zu lassen, wenn sie das wollen – und wie sie es wollen«, meinte Chem.
»Vielleicht…« gestand Haggy ihr zu, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie gerade auf einen Stinkwurm gebissen.
»Und du«, wandte Chem sich an Kotbold. »Deine älteste Tochter hat einen Koboldhäuptling geheiratet und einen Zauberstab bekommen,
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