Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachen-Mädchen

Titel: Drachen-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
eine geöffnete Bücherkiste. Sie trug eine bodenlange weiße Robe und schien von einem guterhaltenen mittleren Alter zu sein – es war die Art von Figur, wie Irene sie einmal abzugeben hoffte, wenn die Zeit sie irgendwann in diese Altersklasse zwang.
    Als sie die Gruppe wahrnahm, hob die Frau den Kopf. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie völlig ruhig. Sie sprach mit einem kultivierten Akzent, und ihre Stimme war leise, klang aber durch und durch kompetent.
    Irene saß ab und begab sich zu dem Tisch, unsicher, ob sie dieses Angebot ohne Mißtrauen annehmen durfte. Die Mänaden hatten schließlich auch wie Nymphen ausgesehen, aber sich kaum wie welche benommen. Wenn das hier eine weitere Falle sein sollte – doch sie entschloß sich, es zu wagen. »Wir suchen den Baum der Samen und den Simurgh«, erklärte sie. »Wir können keinen Pfad entdecken, der nach oben auf den Gipfel führt.«
    Die Frau nickte. Sie hatte lockiges, dunkles Haar, das säuberlich zurückgesteckt war, und eine elegante gerade Nase. »Und wer sind Sie?« fragte sie mit mildem Interesse.
    »Ich bin Irene, und das hier sind meine Freunde Chem, Zora, Grundy, Xavier und Xap.«
    »Ach, dann sind Sie ja die gegenwärtige Königin von Xanth!« rief die Frau erfreut. »Wie nett von Ihnen, uns mit Ihrem Besuch zu beehren!«
    Irene war verblüfft. »Woher wißt Ihr das?«
    »Ich bin Klio, die Muse der Geschichte. Natürlich bin ich mit allem vertraut, was für mein Gebiet von Belang ist.«
    »Die Muse der Geschichte!« rief Chem aufgeregt und kam näher. »Die die Sage vom magischen Land schreibt?«
    Klio verneigte höflich ihr Haupt. »Einige davon, Zentaurin. Als letztes habe ich die Episode von der Nachtmähre und der Rettung Xanths vor der Nächstwelleninvasion abgehandelt. Ihre Artgenossen sind vorzügliche Kunden für derlei Berichte. Der Gute Magier natürlich auch.«
    »Nicht mehr«, murmelte Irene finster.
    »Er wird sich schon wieder erholen. Dafür wird Ihre Freundin sorgen«, sagte die Muse und warf einen Blick auf Zora.
    »Wird er?« fragte Irene ungläubig. »Aber es gibt doch kein schnell wirkendes Mittel gegen die Jugend…«
    »Aber ihr Talent wird das kompensieren, verstehen Sie?«
    Irene starrte Zora an. »Ihr Talent? Aber sie ist doch ein…«
    Klio legte eine Hand an den Mund. »Ach je, das steht ja erst in einem zukünftigen Geschichtstext! Wir haben eine lange Herstellungszeit, und da verliere ich manchmal den Überblick. Ich hätte es wohl nicht erwähnen sollen.«
    Ein zukünftiger historischer Text? Das war aber eine hochkarätige Magie! Wie konnte Zora Zombie etwas mit dem Guten Magier zu tun haben, den sie doch noch nicht einmal kannte?
    »Sind die anderen Musen auch hier?« fragte Chem. »Kalliope, Erato, Urania…«
    »Das sind sie«, bejahte Klio. »Hier ist unser Heim, der Berg Parnaß, die Heimat der Künste, der Wissenschaften und der Erinnerungen. Die anderen ruhen gerade, aber Sie können sie kennenlernen, wenn Sie wollen. Wir hatten nie vor, uns von der Öffentlichkeit abzusondern, wenngleich eine gewisse Abgeschiedenheit gelegentlich recht förderlich sein kann.«
    Chem schüttelte bedauernd den Kopf. »Wenn ich erst einmal anfange, mit den Musen zu sprechen, dauert es Jahre, bis wir zu einem Ende finden, und ich habe Dringlicheres zu tun. Also muß ich mich wohl damit begnügen, Eure Heimstatt auf meiner Karte einzutragen. Würdet Ihr uns vielleicht sagen, wie wir zum Gipfel des Parnaß gelangen?«
    »Ich muß Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, daß es dorthin keinen leichten Weg gibt«, erwiderte Klio. »Talent allein genügt nicht mehr. Die wenigsten talentierten Wesen schaffen es. Sie werden von dem Python oder den Mänaden verschlungen, entweder wörtlich oder bildlich.«
    »Das haben wir auch feststellen müssen«, warf Irene ein. »Und man hat uns auch gesagt, daß es gefährlich sei, zu fliegen. Aber ich muß meine Tochter Ivy retten, und dafür muß ich zunächst drei Samen vom…«
    »Ivy?« fragte Klio. »Lassen Sie mich Thalia herbeiholen.« Sie erhob sich, wandte sich graziös um und schwebte dem Palasteingang entgegen.
    »Wer ist Thalia?« fragte Irene.
    »Die Muse der Komödie«, murmelte Chem. »Und der Pflanzenkultur.«
    »Der Pflanzenkultur! Damit kann ich etwas anfangen! Aber…«
    Klio kehrte mit Thalia zurück. Die zweite Muse trug eine breit lächelnde Gesichtsmaske und einen Hirtenstab. Ihr Haupt war mit einem Efeukranz geschmückt.
    »Ich weiß von der Zauberin«, sagte Thalia sofort.

Weitere Kostenlose Bücher