Drachenboot
dein Leben nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen, Orm Bärentöter«, fügte Dobrynja mit einem Lächeln hinzu, das jedoch seine Augen nicht ganz erreichte. »Schließlich bist du der Einzige von uns, der den Weg kennt.«
Ich sah mir den jungen Prinzen an, dessen Gesicht durch die dunklen Augenringe und die kleine rote Nase noch blasser wirkte. Wir hatten das Thema meines Anteils überhaupt noch nicht berührt, denn zum damaligen Zeitpunkt gab es in dieser Hinsicht nichts zu besprechen – ich hatte nichts weiter getan, als mein Wissen gegen unser Leben eingetauscht. Ich fragte mich, ob er ahnte, dass die Runen auf meinem Schwertgriff nutzlos waren, bis wir nicht nach Sarkel kamen. Ich hoffte, er würde nie erfahren, dass sie vielleicht auch dann nicht ausreichen würden, um den Weg zu Attilas Grab zu finden.
Was sich allerdings geändert hatte, war, dass Dobrynja – und damit auch Wladimir – sich nicht mehr sicher sein konnten, dass ihre Druschina stark genug war, um mit den Eingeschworenen fertigzuwerden. Also tat der junge Prinz wie von Onkel Dobrynja befohlen, er lächelte freundlich und lobte unser Vorgehen beim Einnehmen des befestigten Dorfes und überhäufte uns mit Silber, das er noch gar nicht besaß.
Wir hatten lederne Becher mit gutem Bier vor uns, und wie Freunde spekulierten wir darüber, was wohl mit Morut, dem Späher, passiert war, doch insgeheim machte mich der Gedanke ganz krank, dass nicht weit von uns Dorschbeißer um sein Leben kämpfte und der kleine Eldgrim vielleicht schon tot war.
Aber Olaf hatte natürlich wieder eine Geschichte parat, diesmal zum Thema Prinzen und Freundschaft.
»Es war einmal ein Prinz«, sagte er in die unbehagliche Stille hinein.
»Nennen wir ihn aber nicht Wladimir«, unterbrach Dobrynja leise, »es sei denn, er ist ein guter Prinz.«
Olaf sah Dobrynja ruhig an, dann blickte er zu seinem Onkel mit der Silbernase, der noch immer im Dunkel stand. Es war eine so eindeutige Geste, dass Dobrynja unwillkürlich zusammenzuckte. Ich bezweifelte, ob Sigurd wirklich der Schutz für ihn war, für den Olaf ihn hielt; mit zunehmendem Alter würde er die Erfahrung machen, dass Blutsbande allein nicht ausreichen. Das einzig Zuverlässige waren Schwüre, die man vor den Göttern ablegte.
»Es war einmal ein Prinz«, wiederholte Olaf, »der Name tut nichts zur Sache, und fragt mich nicht, in welchem Land. Dort gab es ein Mädchen, das war so schön, dass alle sie Silberglöckchen nannten. Sie hatte Augen wie schwarze Wildkirschen, ihre Augenbrauen waren schön geschwungen wie die Brücke Bifrost. In ihre Zöpfe hatte sie bunte Glasperlen aus fernen Ländern geflochten, und an ihrer Mütze hing ein kleines Glöckchen, dem sie ihren Namen verdankte. Eines Tages wurde der Vater von Silberglöckchen krank, und ihre Mutter sagte zu ihr: ›Nimm das rotbraune Pferd und reite zum Hof des Prinzen. Bitte ihn, herzukommen und deinen Vater zu heilen, denn jeder weiß, dass ein wahrer Prinz Kranke allein durch seine Berührung heilen kann.‹«
»Ja, ganz richtig«, strahlte Sigurd, der damit andeuten wollte, dass die Sache in die richtige Richtung ging. Olaf strahlte, siegesgewiss wie ein Wiesel auf der Mäusespur.
»Das Mädchen schwang sich auf das rotbraune Pferd mit dem weißen Fleck auf der Stirn«, fuhr er fort. »In der rechten
Hand hielt sie die ledernen Zügel mit den Silberringen, in der linken die Reitpeitsche mit dem geschnitzten Griff aus Horn. Das Pferd galoppierte, die Zügel wippten auf und ab, und das Zaumzeug klingelte lustig. Der Prinz befand sich im Hof seiner Festung und spielte mit seinen Falken. Er hörte das Hufgetrappel und sah das Mädchen auf dem Pferd. Stolz saß sie hoch im Sattel, der Wind spielte mit dem Silberglöckchen, und wenn es die Edelsteine auf ihrer Mütze berührte, tönte es hell. Die Perlen in ihren dicken Zöpfen sangen im Wind, und der Prinz vergaß den Falken auf seiner Hand, er ließ ihn los, und der Vogel flog davon. ›Großer Prinz‹, sagte das Mädchen, ›mein Vater ist krank, bitte komm und hilf uns.‹ Der Prinz sah sie an und sagte: ›Ich werde deinen Vater gesund machen, wenn du mich heiratest.‹ Silberglöckchen aber liebte einen anderen, einen schönen, starken Wolfsjäger. Voller Schreck nahm sie die Zügel in die Hand und galoppierte davon. ›Morgen früh komme ich zu dir‹, rief der Prinz ihr nach.«
»Das klingt aber gar nicht nach dem Prinzen, den ich kenne«, unterbrach Dobrynja vielsagend.
»Wirklich nicht,
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