Drachenboot
Finnlaith ihm auf die Schulter – Tjorvir zuckte vor Schmerzen zusammen – und sagte: »Keine Angst, ich kümmere mich um dein Wergeld und sorge dafür, dass du deinen Teil bekommst.«
Das musste mir Jon Asanes erst erklären, und es war mir gar nicht recht, dass es ausgerechnet dieser Grünschnabel sein musste.
»Diejenigen, die mit Thorkel kamen, schämen sich für das, was er gemacht hat, und wollen nicht, dass du schlecht über sie denkst«, sagte er. »Sie würden dir bis an die Schwelle Helheims folgen – genau wie die anderen, und nicht nur, weil sie den Schwur vor Odin abgelegt haben.
Sie nennen dich nicht Bärentöter, sondern Händler«, fügte er grinsend hinzu, »denn jeder weiß, wenn man mit Orm zieht, macht man ein gutes Geschäft. Sie wissen, dass du in der Gunst des Allvaters stehst, und glauben, dass du die meisten von ihnen auch wieder heil nach Hause bringen wirst.«
Wir sprachen auch leise unter vier Augen von Olafs Plan, dass Jon in Nowgorod bleiben solle. Ich kannte Krähenbein inzwischen gut genug, um mich nicht mehr darüber zu wundern, dass ein neunjähriger Junge über die Zukunft eines Menschen entscheiden sollte, den ich seit seiner Kindheit kannte.
Jons Gesicht drückte sein Unbehagen aus. Er rieb sich das Kinn, wo sich langsam ein Bart zeigte, dunkler Flaum auf der blassen olivfarbenen Haut. Bei dieser Bewegung machte mein Herz einen kleinen Freudensprung, denn genau
die gleiche Geste war eine Gewohnheit des alten Rurik gewesen, des Mannes, den ich lange für meinen Vater gehalten hatte. Doch dann wurde mir klar, dass Jon sie von mir übernommen hatte.
»Der kleine Krähenbein träumt eben seine Träume«, sagte Jon mit leichter Ironie, »und er glaubt, aus dem Verhalten der Vögel sehen zu können, ob sie wahr werden. Er wird am Ende damit Schiffbruch erleiden, denn dabei wird er von keinem wahren Gott geleitet.«
»Wie kannst du das sagen?«, entgegnete ich, »nach allem, was du mit uns erlebt hast?«
»Es war immer die Hand des weißen Christus, des Hvitkristr, wie ihr sagt«, erwiderte Jon ruhig. »Aber das hat uns schon immer getrennt.«
Was mich anbetraf, so hatte es uns nie getrennt und würde es auch in Zukunft nicht tun, versicherte ich ihm, und er strahlte mich an, dass seine weißen Zähne in dem viel zu schmalen Gesicht blitzten.
»Du nennst ihn Hvitkristr aus einem bestimmten Grund«, erwiderte er, »und vielleicht nennst du ihn schon so lange so, dass du es gar nicht mehr merkst.«
»Aus welchem Grund denn?«, fragte ich, obwohl ich es eigentlich schon wusste.
»Dieses Hvit bedeutet ja nicht nur ›weiß‹, sondern auch ›feige‹«, sagte er, dann sah er zu Boden. »Das und noch mehr. Also bezieht es sich auch auf mich. Ich bin kein guter Kämpfer, und den Schwur auf Odin kann ich auch nicht leisten. Ich bin in diesem Gefolge weder Fisch noch Fleisch.«
Das war richtig, aber ich begriff nach wie vor nicht, wie man einen kleinen Gott, der sich willig an ein Stück Holz nageln ließ, etwas anderes als feige nennen konnte. Aber natürlich sprach ich das mit Rücksicht auf Jons Glauben nicht aus.
Mir war das alles nicht bewusst gewesen, und es betrübte mich, dass Jon jetzt über unsere Freundschaft sprach, als habe sie nie existiert. Ich sah ihn an und dachte wieder an den mageren griechischen Jungen, den wir auf Zypern gefunden hatten. Diese Erinnerung machte es mir unmöglich zu reden, sodass ich nicht herausbrachte, was ich eigentlich hätte sagen sollen.
Er grinste etwas verlegen, und seine großen Augen strahlten. »Ich verstehe etwas von Bestechung, von Hafengebühren und Ladegewicht«, sagte er. »Ich kenne etwa ein Dutzend Währungen und weiß, was sie gegeneinander wert sind und wie man schlechten Bernstein von gutem unterscheidet. Ich spreche Griechisch und Latein und schreibe es ganz gut, meine Runen sind auch akzeptabel. Eines Tages werde ich selbst ein guter Händler sein. Aber ich bin kein Nordmann und auch kein Heide, und ein Eingeschworener werde ich auch niemals sein.«
»Das ist alles richtig«, sagte ich, aber ich war so enttäuscht, dass meine Worte bitter klangen. »Vielleicht solltest du auch hierbleiben, wenn du so wertvoll bist.«
Traurig schüttelte er den Kopf, und ich schwieg beschämt. Dann sah er wieder zu Boden.
»Als ihr in Nowgorod ankamt, habe ich … mich geschämt. Finn stank, und Kvasir war auch nicht besser. Auch du nicht, Händler.«
Ich zuckte die Schultern. Er war zu lange von uns ehrlichen Nordmännern
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