Drachenboot
Vorstellung. Meine Gedanken waren wie Möwen, die schrien und durcheinanderstoben und nie lange genug sitzen blieben, um sich greifen zu lassen.
»Das war ein Pferd«, sagte Avraham, der dazugekommen war, unbekümmert. »Ein himmlisches Pferd natürlich. Hätte nie gedacht, dass ich so etwas einmal zu sehen bekäme.«
»Ein was?«, fragte Ospak ungläubig. Hinter ihm hörte man Hekja weinen, die gerade Skirlas Leiche entdeckt hatte. Sie waren seit frühester Kindheit Sklavinnen und hatten Thorgunna und Thordis stets gemeinsam gedient.
»Ein himmlisches Pferd aus dem fernen Osten«, sagte Avraham und zog mich von den weinenden Frauen fort. »Sie glänzen wie Messing, wenn sie schwitzen, und sind so wertvoll, dass man sie praktisch mit Gold aufwiegt. Die Heiden in der Steppe behaupten, sie würden manchmal auch Blut schwitzen, und das ist für sie der Beweis, dass es himmlische Wesen sind.«
»Schweißblut«, wiederholte Jon Asanes nachdenklich. Ich sah auf die blutige Handfläche meines Fausthandschuhs, gegen den das gewaltige Hinterteil des Pferdes geprallt war. Finn wandte sich zum Gehen und versuchte, mit beschwichtigenden Lauten Thordis und Thorgunna über den Verlust von Skirla zu trösten.
»Ja, das muss es sein«, stimmte Avraham zu. Dann wandte er sich an mich.
»Dobrynja möchte mit dir sprechen. Anscheinend haben wir ein neues Problem.«
Das neue Problem stand auf der Befestigungsanlage, die das Dorf umgab, es hatte einen wirren goldblonden Haarschopf und grinste fröhlich auf uns herab. Die eine Hand ruhte auf einem der angespitzten Palisadenpfähle, mit der anderen schwang er eine schwere Langaxt herum, deren Blatt in der untergehenden Sonne blitzte.
»Er, der gekommen, sucht ein Feuer,
Starr vor Kälte bis zum Knie;
Nahrung und Kleidung braucht der Wanderer,
der gezogen über verschneite Höhen.«
Seinem Akzent nach war er mehr Slawe als Nordmann und gebildeter als die meisten Menschen, trotzdem war ein Spruch wie dieser nicht gerade große Poesie.
»Nein«, sagte er in diesem Moment zu Wladimir, »ich glaube, ich habe keine Lust, euch einzulassen, auch wenn ihr mir den Gefallen getan habt, diese verrückten Weiber fortzujagen. Hier ist kaum Platz für mich und meine Leute.«
»Dann musst du über eine stattliche Anzahl von Männern verfügen«, erwiderte Dobrynja ruhig. »Wenn du uns sagst, wie viele dort drin sind, könnten wir uns über die Anzahl einigen, die hineinpasst, ohne euch Raum und Verpflegung wegzunehmen.«
»Es spielt keine Rolle, wie viele wir sind, Onkel Dobrynja«, lachte der Mann und drehte uns eine lange Nase, »denn wir werden keinen von euch reinlassen. Aber du solltest trotzdem wissen, dass wir stark genug sind.«
»Weißt du, wer ich bin?«, fragte Wladimir aufgebracht, und der Mann lachte wieder.
»Du bist der junge Prinz Wladimir. Dein Vater ist tot, und Groß-Nowgorod ist in weiter Ferne. Du bist hier in viel größerer Gefahr als ich, und diese Gefahr droht dir
noch dazu durch deine eigenen Brüder. Du hättest auf deinen Onkel Dobrynja hören sollen, Junge, denn der hat dir sicher geraten, nach Hause zu gehen.«
Wladimir wurde rot vor Zorn, denn die Bemerkung hatte ins Schwarze getroffen. Dobrynja sah, wie der Junge versuchte, sein Pferd zu beruhigen, das nervös geworden war. Er streckte die Hand aus und berührte seine Schulter.
»Wir sollten später darüber reden«, sagte er.
Wladimir fuhr herum. »Rühr mich nicht an! Niemals!«
Dobrynja zögerte, dann senkte er, um Verzeihung bittend, den Kopf. Der Mann auf dem Erdwall lachte laut auf, und alle, auch ich selbst, waren unangenehm berührt, dass der Prinz sich wie ein launisches Kind aufgeführt hatte. Doch Dobrynja blieb völlig gelassen.
»Wie du wünschst, mein Prinz«, sagte er zu Wladimir. »Doch dieser große Dummkopf hier hat uns gerade zu verstehen gegeben, dass er sich lieber pfählen ließe, statt freundlich mit uns zu verhandeln. Wir wollen ihn nicht enttäuschen.«
Wladimir, noch immer zornig, lenkte sein Pferd herum, dann blieb er stehen und starrte zu dem Mann hoch.
»Du kennst mich also«, rief er mit seiner hohen Stimme, die jetzt schrill vor Wut war. »Dann sag mir wenigstens auch deinen Namen, damit ich ihn auf dem Pfahl vermerken kann, den ich dir für deine Unverschämtheit in den Arsch rammen werde.«
»Farolf«, sagte der Mann, und jetzt lachte er nicht mehr. »Ich kenne dich. Aber noch besser kenne ich den, der mit dir reitet. Orm, der Bärentöter, wenn ich mich nicht
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