Drachenelfen
den größten Teil dessen verdeckte er mit seinem in flatternde Roben
gehüllten Leib. Iridal konnte fast nichts sehen und mußte wohl oder übel den
Blick gesenkt halten, um nicht zu stolpern, denn die Fußböden in dem
altehrwürdigen Gebäude waren uneben und voller Risse. In den Gängen regte sich
nichts. Sie gewann einen flüchtigen Eindruck von geschlossenen Türen links
und rechts. Einmal glaubte sie ein Baby schreien zu hören, und es tat ihr weh,
an das arme Wurm zu denken, mutterseelenallein an einem so trostlosen Ort.
Sie kamen zu einer Treppe, die in Ungewisse
Tiefen führte. Der Abt blieb wahrhaftig stehen, um ihr eine brennende Kerze zu
reichen, bevor er die Stufen hinunterging. Iridal vermutete, daß er nicht so
sehr um ihr Wohlergehen besorgt war, sondern vielmehr vermeiden wollte, sich um
sie kümmern zu müssen, falls sie stürzte und sich die Knochen brach.
Unten angelangt, standen sie im Wasserkeller.
Feste Türen, verschlossen und verriegelt, schützten das kostbare Naß vor
unbefugtem Zugriff. Es wurde nicht nur zum Trinken und Kochen gebraucht,
sondern machte auch zum Teil den Reichtum des Klosters aus.
Doch offensichtlich befanden sich nicht hinter
allen Türen Wasserfässer. Zu einer ging der Abt hin und rüttelte am Griff.
»Du hast einen Besucher, Hugh.«
Keine Antwort. Nur ein Scharren, wie von einem
Stuhl, über den Boden geschoben.
Der Abt rüttelte heftiger.
»Er ist eingesperrt? Ihr haltet ihn gefangen?«
fragte Iridal entsetzt.
»Er hält sich selbst gefangen«, antwortete der
Abt. »Der Schlüssel befindet sich drinnen bei ihm. Wir können nicht hinein, Ihr könnt nicht hinein, außer er gibt uns den Schlüssel.«
Iridal wollte verzagen. Wieder fühlte sie sich
versucht umzukehren. Sie begann zu zweifeln, ob Hugh ihr helfen konnte, und
hatte Angst, sehen zu müssen, was aus ihm geworden war. Doch wenn er ihr nicht
half, wer dann? Nicht Stephen, das stand fest. Nicht die anderen
Mysteriarchen. Mächtige Zauberer, die meisten von ihnen, doch ohne Liebe für
ihren toten Gemahl, und sie hatten keinen Grund, an der Rückkehr von Sinistrads
Sprößling interessiert zu sein.
Was andere Menschen anbetraf, so kannte Iridal
nur wenige und war nicht beeindruckt von denen, die sie getroffen hatte. Einzig
Hugh genügte ihren Ansprüchen. Er besaß die Kenntnisse, ein Elfenschiff zu
führen, er kannte sich in ihrem Land aus, beherrschte fließend die Elfensprache
und war mit ihren Bräuchen vertraut. Er war kühn und wagemutig. Er hatte sich
als Assassine sein Brot verdient, und fragte man nach dem Besten dieser Zunft,
hörte man seinen Namen. Wie Stephen sich von Iridal erinnern lassen mußte: Er –
ein König, der sich von allem das Beste leisten konnte – hatte sich einst der
Dienste Hugh Mordhands versichert.
Der Abt wiederholte: »Hugh, du hast Besuch.«
»Geh zur Hölle«, sagte eine Stimme hinter der
Tür.
Iridal seufzte. Die Stimme klang vom Rauchen undeutlich
und heiser – sie konnte den Gestank des Stregno bis in den Gang riechen. Aber
sie erkannte sie wieder.
Der Schlüssel. Darauf richtete sich ihre
Hoffnung. Er hatte den Schlüssel in Verwahrung, als fürchtete er, sonst der
Versuchung zu erliegen und die Mönche anzuflehen, ihn hinauszulassen. Tief in
seinem Innern mußte es also einen Teil von ihm geben, der frei sein wollte.
»Hugh Mordhand, ich bin es, Iridal vom Hohen
Reich. Ich bin in großer Bedrängnis. Ich muß mit Euch sprechen. Ich will Euch
anwerben.«
Sie war sicher, daß er ablehnen würde, und
erkannte an dem feinen, höhnischen Lächeln um die schmalen Lippen des Abts, daß
er dasselbe dachte.
»Iridal«, wiederholte Hugh gedehnt und in verwundertem
Tonfall, als sei aus den Alkoholschwaden seines Gehirns ein Geist aufgetaucht.
»Iridal!«
Das war ein heiseres Flüstern, ein zischend
hervorgestoßener Atemzug – etwas lange Ersehntes, endlich wahr geworden. Aber
die Stimme verriet weder Liebe noch Verlangen, sondern einen Zorn, der heiß
genug war, Granit zu schmelzen.
Der Anprall eines schweren Körpers gegen die
Tür, gefolgt von einem Schaben und Kratzen. Eine Klappe öffnete sich. Ein
blutunterlaufenes Auge, halb verdeckt von strähnigem, verfilztem Haar, stierte
hindurch, irrte umher, heftete sich auf ihr Gesicht.
»Iridal…«
Die Klappe schlug zu.
Der Abt schaute sie an, neugierig auf ihre
Reaktion; vielleicht glaubte er, sie würde kehrtmachen und flüchten. Iridal
hielt sich sehr
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