DRACHENERDE - Die Trilogie
man Insel nennt. Im Grunde ist das doch nur ein zerfurchter Stein, der groß genug ist, dass er aus dem Wasser ragt. Ihr könnt fliegen und euch, wie du selbst gerade gesagt hast, tagelang in der Luft halten.“
„Das können viele andere flugfähigen Geschöpfe dieser Welt auch.“
„Und sie ziehen um die ganze Welt und wechseln ihren Wohnwort je nach Jahreszeit“, fuhr Orik fort. „Tausende von Meilen legen sie dabei zurück. Ihr aber verlasst diesen ungastlichen Felsen nie.“
Der Vogelmensch sah Orik eine Weile an. Der Blick seiner grauen Augen war nicht zu deuten, denn sein Gesicht blieb so starr und regungslos wie bei einer Statue.
„Viele von uns hoffen, eines Tages doch noch zurückkehren zu können“, sagte er schließlich.
„Zurückkehren? Wohin?“
„In die Welt, aus der wir stammen und in der unser Volk ein mächtiges Reich hat – jenseits des kosmischen Tores, durch das es uns hierher verschlug.“
„Dann seid ihr nicht missratene Kreaturen des Schicksalsgottes, der es nicht fertig brachte, einen Seemannen in eine Zweikopfkrähe zu verwandeln?“
„Jeder nimmt die Geschichte als wahr hin, die dem Bild entspricht, das er sich von der Welt gemacht hat“, erklärte der Vogelmensch ruhig. „Es ist deine Entscheidung, was du glauben möchtest.“
Damit war für ihn das Gespräch beendet. Er hatte den Befehl, sofort in die Hafenstadt zurückzukehren, um weitere Kurierdienste zu leisten. Dafür erhielt er jeweils ein paar Silberstücke.
„Der Kerl redet ganz schön wirres Zeug“, lautete Kallfaer Eisenhammers Kommentar, als der Vogelmensch das Schiff verlassen hatte und zurück zur Stadt geflogen war.
Die Kundschafter kehrten in der folgenden Nacht zurück. Sie flogen in einer Formation, die einem Dreizack glich, und waren im Licht der Monde gut auszumachen. Solange sie sehr hoch flogen, konnte man sie tatsächlich für Vögel halten, aber als sie sich immer mehr näherten, waren sie schließlich als Vogelmenschen zu erkennen.
Sie schwebten fast lautlos dahin und landeten zunächst auf dem allerobersten Felsplateau von Vogelborg, wo sich die Residenz des örtlichen Hochkapitäns befand und der lokale Kapitänsrat tagte. Offenbar erstatteten sie zunächst dort Bericht, bevor sie, etwa zum Zenit des Augenmonds, zum Flaggschiff wechselten, um auch den Hoch-Steuermann Bronr über das in Kenntnis zu setzen, was sie gesehen hatten.
Als dann der Augenmond seinen Zenit verließ, ertönten die ersten Hornsignale vom Flaggschiff her: Große Verbände des Feindes näherten sich aus Osten.
„Offenbar haben die Drachenier die Herausforderung angenommen und alles zusammengetrieben, was von ihrer Drachenheit noch einsatzfähig ist“, meinte Kallfaer. „Wenn sie diese Schlacht verlieren, könnte das ihr Ende sein.“
„Oder es ist das unsere“, wandte Orik skeptisch ein.
Sofort wurden die Segel gesetzt. Der wolkenlose Himmel und das Licht der fünf Monde erlaubten problemlos die nächtliche Seefahrt. Überall wurden die Hornsignale des Flaggschiffs bestätigt, sodass der mächtige Klang an den Klippen von Vogelborg widerhallte.
Auch die Seemammutflosse nahm Fahrt auf.
„Kaum jemals dürfte man eine so imposante seemannische Flotte gesehen haben“, meinte Kallfaer. „Jetzt werden wir den Drachentreibern das Fürchten lehren. Niemals soll sich wiederholen, was sich in Winterborg zugetragen hat. Nie wieder!“
So als ob selbst die Elementargeister des Windes die Seemannen in der kommenden Schlacht unterstützen wollten, begann ein beständiger Wind zu blasen, der mehr als tausend Segel blähte.
Orik überließ das Ruder Bartulf Klippenbremser. Aber wenn der Feind erst in Sicht war, würde er es sich nicht nehmen lasen, sein Schiff selbst zu steuern.
3. Kapitel
Drachenblut im Morgengrauen
Die Sonne ging auf, und zugleich versank der in letzter Zeit beunruhigend angeschwollene Schneemond in genau entgegengesetzter Richtung.
Eine Unzahl schwarzer Flecken hob sich gegen das gedämpfte rötliche Licht der aufgehenden Sonnenscheibe ab. Aus der Ferne wirkten die Schatten wie bizarre riesenhafte Insekten, aber als sie näher kamen, erkannte man, worum es sich wirklich handelte.
„Drachen!“, rief Kallfaer. „Bei den Göttern, das müssen Hunderte sein!“
„Das sind mindestens tausend!“, stellte Orik verblüfft fest. So stark hatten die Kundschafter den Feind nicht eingeschätzt. Auf jedes Schiff der Seemannenflotte fiel mindestens ein Kriegsdrache. Dazu kamen
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