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Drachenglut

Titel: Drachenglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Begreifst du denn nicht? Ich war verzweifelt, und zu dem Zeitpunkt schien es das Richtige.«
    »Klingt einleuchtend«, sagte Stephen. »Jetzt tu uns einen Gefallen, Michael, und halt die Klappe.«
    Aber ein Schleier aus Verachtung hatte sich plöt z lich über Michaels Gedanken gelegt. Aus den ve r worrenen Bildern und Gefühlen in ihm tauchte auf einmal eine klare Vorstellung von der grotesken Dummheit seiner Schwester auf. Ihre traurige U n wissenheit, ihre lächerliche Müdigkeit, ihre jämme r lichen, miesen Gefühlsduseleien – alles war plötzlich ganz klar.
    Stephen neben ihm spürte die Veränderung in der Atmosphäre und die Hitze in seinen Augen schwoll an. Er beobachtete seinen Bruder von der Seite und sah, wie der den BLICK einsetzte und sich innerlich entfernte und unerreichbar wurde. Er sah, wie M i chael Sarah anstarrte.
    »Michael«, sagte er schnell. »Lass das! Lass das bleiben.«
    Er stand auf, aber noch bevor er handeln konnte, wusste er, dass Sarah bereits Michaels unsichtbaren Angriff spürte. Sie zitterte und etwas in ihrem Blick schien einzustürzen, als würde sie von einer plötzl i chen Trauer überwältigt. Sie sah aus, als würde sie gleich weinen, ohne den Grund dafür zu wissen.
    Stattdessen stand sie auf, blass und zitternd. »W a rum siehst du mich so an?«, rief sie. »Lass das! Mein Gott, du bist krank! Was ist denn bloß los mit dir?« Ihr schauderte und halb ging, halb rannte sie zur K ü chentür.
    Michael drehte sich um und sah ihr nach. Er bli n zelte kein Mal.
    »Sarah!« Stephen hatte sie an der Tür eingeholt und nahm sie in die Arme. Sie zitterte immer noch. »Er hat das nicht so gemeint«, hörte er sich sagen. »Er ist ein bisschen durcheinander.«
    Sarah umarmte ihn fester. »Mir war … «, fing sie an und brach ab, weil ihr die Worte fehlten.
    Stephen begriff, warum. »Geh zu Tom. Du brauchst heute Morgen eine Pause von uns.« Er sah hinüber zu der reglosen Gestalt am Tisch. »Ich kümmere mich um ihn.«
    Michael wurde von einer wilden Freude erfüllt.
    Die Farben einer anderen Seele hatten nackt und bloß vor ihm gelegen. Gestern noch hatte er vor di e sem verborgenen Etwas Ehrfurcht empfunden, doch die empfand er nun nur noch für sich selbst und seine Macht. Er hatte die zitternde, dumme Hundeseele vor seinem Blick verzagen sehen, hatte es genossen, wie die Oberfläche zitterte, ihre Konturen schwächer wurden und die Farben verblassten und verschwa m men. Der Bewegungsfluss hatte sich deutlich ve r langsamt – und das nur wegen seinem starken BLICK.
    Angst. Die Seele hatte Angst gehabt. Das hatten die Farben verraten. Michael genoss dieses Wissen mit einer wilden Freude und zog Stärke aus der ze r brechlichen Seele seiner Schwester.
    Er lachte in sich hinein.
    Seelen waren hübsche, wertlose Strasssteine, das stimmte. Das hatte er gleich zu Anfang bemerkt. S o gar die Seele seiner blöden Schwester war exquisit, schön wie ein Edelstein. Aber welches Recht hatte sie darauf? Sie würde sie nie sehen, nie ihre Schö n heit auf der Waage wiegen können. Nie ihre Anmut und ihr Funkeln kennenlernen, ihre unendlichen Schwingungen, deren Anblick das Herz zum Singen brachte. Es war bei ihr verschwendet.
    Michael kam sich vor wie ein weiser und reicher Sammler, der eine unschätzbare Kostbarkeit im B e sitz eines Ignoranten Amateurs sieht, der niemals wirklich wissen wird, was er da in der Hand hält.
    Und mit dieser Erkenntnis wuchs noch die Ve r achtung für die unwissenden Eigentümer jener präc h tigen Objekte.
    »Ihr Dummköpfe«, flüsterte er unhörbar und sah zu seinen Geschwistern bei der Küchentür hin. »Ihr armen, traurigen Dummköpfe.«

 
     
    23
     
    Erst als sie das Kirchhofstor hinter sich zugemacht hatte und ein paar Schritte zur Kirchentür gegangen war, ging es Sarah wieder besser. Während der ku r zen Fahrt durchs Dorf hatten ihre Hände am Lenkrad gezittert, und in ihrem Kopf hatte sich alles gedreht, so heftig, dass sie einmal am Straßenrand anhalten musste, bis sie wieder klar sehen konnte.
    Als sie an den Grabsteinen vorbeiging, ließ die E r innerung an Michaels Wut etwas nach, und ihre La u ne besserte sich. Für alle Probleme gab es eine L ö sung, ganz gleich, wie unlösbar sie zunächst auch erscheinen mochten.
    Sarah stieß das Portal auf und sah hinein. Sie sah Tom bei den Sakristeivorhängen stehen und auf das Kreuz hinunterschauen. Als sie eintrat und die Tür zumachte, beachtete er sie nicht, auch nicht, als sie ganz dicht hinter

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