DrachenHatz
der Spur stand. Genau dies konnte oder wollte Thomas jedoch nicht. So weit kannten wir uns immerhin.
Ich legte das Handy weg. Es hatte keinen Sinn, und damit musste ich fertig werden. Schließlich war ein Schrecken ohne Ende allemal furchtbarer als einer mit.
Ich fühlte mich fix und fertig, als ich so weit gekommen war, und mir schwirrte der Kopf derart, dass ich wusste: Nichts ging mehr, rien ne va plus. Das Spiel war vorbei.
Mittlerweile war es richtig dunkel geworden, also musste es so gegen Mitternacht sein. Trotzdem schlüpfte ich in meine Schuhe und angelte nach meiner Jacke. Ich vergewisserte mich, dass das Feuer im Ofen tatsächlich heruntergebrannt war, verriegelte sorgfältig die Tür hinter mir und trat hinaus in die kühle Nachtluft, um mir die Beine zu vertreten und mich wieder ans Alleinsein zu gewöhnen.
Es hatte aufgehört zu regnen, und der Himmel war mittlerweile völlig klar. Ich lehnte mich gegen das Terrassengeländer und schaute einfach nur nach oben. Eigentlich liebe ich diesen Blick in die unendlichen Weiten des Weltalls. Jetzt machte er mich traurig, weil ich mir vorkam wie ein winziges, furchtbar einsames Staubkorn im Universum. Niedergedrückt trabte ich los, den Dünenpfad entlang, den ich allerdings nur erahnen konnte. An eine Taschenlampe hatte ich nicht gedacht.
Vier Häuser weiter beobachtete ich eine Familie im hell erleuchteten Wohnzimmer und fühlte mich dabei wie ein Voyeur. Die fünf Kinder spielten mit hochroten Wangen und viel Gelächter ein Würfelspiel. Jetzt knuffte das Mädchen seinem älteren Bruder in die Seite, was dieser mit einer Kopfnuss quittierte, während der Jüngste – ich schätzte ihn auf zehn – würfelte, gewann und darob wie ein Derwisch durch den Raum hüpfte.
Es lag wahrscheinlich an der Kombination von Wind, dem hin- und herwogenden Dünengrün sowie meiner abgelenkten Aufmerksamkeit, dass ich ihn erst so spät bemerkte: Ich hatte einen Verfolger. Zunächst vernahm ich das leise Tapsen und Quietschen seiner Sohlen, dann hüstelte jemand sehr dezent und verhalten. Ich wandte mich um, starrte angestrengt in die Dunkelheit und lauschte. Ob Thomas reumütig zurückgekehrt war? Oder vielleicht auch nicht reumütig, sondern einfach nur so? Vielleicht wollte er nun doch vorschlagen, morgen noch einmal alles in Ruhe zu besprechen, wie wir es ursprünglich vorgehabt hatten?
Leise und ziemlich vorfreudig, ich gestehe es, rief ich seinen Namen. Keine Antwort. Ich rief lauter. Wieder nichts. Das Wesen in der Dunkelheit war entweder taub oder reagierte bewusst nicht, sondern verhielt sich jetzt völlig lautlos. Was eindeutig nicht dafür sprach, dass es sich um Thomas handelte. Merkwürdig. Doch irgendwelche Sorgen machte ich mir immer noch nicht. Was ziemlich leichtsinnig war, wie sich bald herausstellen sollte.
So jedoch zuckte ich lediglich mit den Schultern, vermutete, dass mein Verfolger gar keiner war, sondern so wie ich zu den Nachtwanderern gehörte oder einfach unter Schlafstörungen litt. Dass er mir hinterherlief, hielt ich für Zufall. So viele Wege gab es schließlich nicht durch die Dünen. Das Feriengebiet war ja auch mit Häusern zugepflastert, da konnte man selbst mitten in der Nacht nicht allen Ernstes erwarten, als Einzige durch die Landschaft zu laufen.
Also schritt ich munter aus und näherte mich bereits wieder meinem Haus, als ich ihn erneut ganz deutlich hörte. Dieses Mal verriet er sich durch ein leises Rascheln und ein anderes Geräusch, das ich nicht zu identifizieren vermochte. Jetzt endlich wurde mir mulmig, und ich beschleunigte unwillkürlich meine Schritte, während ich gleichzeitig angestrengt weiter lauschte.
Da! Nun quietschte er wieder. Eindeutig. Und das war entschieden nicht normal, wenn ein und dasselbe Subjekt fast eine Stunde hinter einem herdackelte und sich nicht zu erkennen gab. Unter banalen und ganz harmlosen Schlafstörungen litt der sicher nicht. Ich spürte, wie sich meine Atmung beschleunigte. Was wollte dieser Mensch von mir?
»Hallo? Wer ist denn da?«, rief ich so laut und energisch ich konnte. Doch ich hörte selbst, dass es nicht allzu überzeugend klang, sondern eher etwas verloren in der Stille der Nacht. Ich spähte in die Dunkelheit, aber ich konnte nichts erkennen. Also lief und stolperte ich weiter, alle Sinne auf Empfang gestellt. Und plötzlich hörte ich ihn lachen. Es war ein abgehacktes Geräusch, genau das, was ich zu Beginn nicht hatte identifizieren können, und es klang überhaupt
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