DrachenHatz
Hanna. Siehst du denn nicht, dass du unseren ganzen Urlaub kaputt machst?«
»Nein«, erwiderte ich ehrlich. »Das sehe ich nicht.«
Daraufhin trat er einen Schritt zurück ins Wohnzimmer, hob demonstrativ die Hand und begann doch allen Ernstes, mir meine Sünden Finger für Finger vorzuzählen. »Erstens. Wir haben ganze Tage mit diesem ominösen Lager verschwendet. Und nun gibst du selbst zu, dass es überhaupt nichts gebracht hat. Ich hatte dich allerdings vorher gewarnt. Zweitens. Ich mag es nicht, wenn dieser Gierke uns laufend stört –«
»Er hat nur zweimal angerufen«, protestierte ich empört. »Und wenn du, drittens, nicht aus jeder winzigen Mücke sofort einen riesigen Elefanten machen würdest, reduziert sich die Lager-Zeit doch auch auf magere zwei Stunden. Der Rest ist mit Reden und Streiten darüber draufgegangen. Das sollten wir hübsch auseinanderhalten, denn diesen Teil könnten wir einfach lassen.«
Er schüttelte betrübt den Kopf. »So simpel, wie du das darstellst, ist es eben nicht. Hier geht es in Wahrheit um etwas ganz anderes. Es geht um uns«, sagte er eindringlich und wagte sich noch einen Schritt weiter hinein, was ich an sich als gutes Zeichen interpretierte. Aber was war mit »uns«? Thomas klang verdächtig nach dem »großen Ganzen«, das in akuter Gefahr schwebte. Und das schien mir nun doch ein bisschen übertrieben zu sein.
War es nicht, denn es ging tatsächlich schlicht um »alles«, wie mir Thomas auf meine Nachfrage hin todernst erklärte. Er könne einfach nicht mit jemandem zusammenleben, der permanent abgelenkt sei, weil er nebenbei seine Nase in jeden Haufen stecke, der auch nur einen Hauch von Anrüchigkeit produziere. Ich fand das Bild nicht sehr gelungen, schwieg jedoch taktvoll. Er bräuchte jedenfalls jemanden, fuhr er unvermindert ernst fort, der ganz für ihn und eben uns da sei. »Wir sind doch eine Gemeinschaft, Hanna, und du scherst immer wieder aus und machst dein eigenes Ding.«
Tja, lag das möglicherweise daran, dass ich mich schlicht und ergreifend genau so verstand, schoss es mir ketzerisch durch den Kopf. Ich war ein eigenes Ding. Doch immerhin war ich in diesem Moment so helle, lediglich vorzuschlagen, sich darüber besser morgen weiter auszutauschen, weil wir doch beide müde seien und Wein getrunken hätten.
»Einverstanden«, stimmte er sofort zu, und es klang unangenehm erleichtert, obwohl er schließlich angefangen hatte.
Und nun? Der Abend war noch jung, und ein entspanntes Geplauder vor dem Kaminofen oder gar eine Knuddelrunde kamen natürlich nicht infrage. Thomas entschied sich für ein Computerspiel, und ich schnappte mir nach kurzer Überlegung »Das geheime ABC der Toten« von Patricia Cornwell, denn nach Andersens Märchen war mir überhaupt nicht. Mit der Leichen sezierenden Heldin Kay Scarpetta, die das Böse jagt, wo immer sie kann, war mir an diesem Abend mehr gedient. Ich kuschelte mich in den einzigen Sessel, der zudem dem Feuer am nächsten stand, und legte los, wobei ich gestehen muss, dass ich querlas und auch nicht allzu sehr bei der Sache war, weil mich die Auseinandersetzung mit Thomas sowie sein Vorwurf doch erheblich getroffen hatten.
Ein Kind war ermordet worden. Und dann noch eins.
War ich wirklich eine dermaßen riesengroße Egoistin, wie er mir vorhielt? Oder benahm ich mich doch eigentlich ganz normal, wie ich selbst meinte, überlegte ich, während ich lustlos Seite für Seite umblätterte. War ich vielleicht am Ende tatsächlich beziehungsunfähig und nicht in der Lage, Kompromisse einzugehen? Ach verdammt!
Kay Scarpetta und das gesamte FBI tippten jedenfalls zuverlässig auf einen lang gesuchten Serienmörder als Kinder-Killer, eine Bestie, wie sie im Buche stand. Und natürlich bedauerten alle die arme Mutter des Opfers, die so schwer vom Schicksal gezeichnete Frau musste schließlich mit unendlich viel Leid fertigwerden, denn ein Kind zu verlieren, ist bestimmt eines der traumatischsten Erlebnisse überhaupt. Das konnte sogar ein kinderloser Single wie ich problemlos nachvollziehen.
Single? Das ließ ja tief blicken. Ich stand auf und schenkte mir noch ein Glas Wein ein, was dazu führte, dass Thomas kurz von seinem Spiel hochsah und mir so halbherzig zulächelte, dass es geradezu scheußlich wehtat. Am liebsten wäre ich zu ihm gegangen, um ihn jedenfalls noch einmal zärtlich zu berühren.
Doch ich trabte artig in meinen Sessel zurück und setzte mich wieder. Wahrscheinlich hatte sich mein
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