DrachenHatz
Küche. Anders blickte von Thomas zu mir. »Was wollt Ihr denn nun genau wissen? Es geht um Morø, sagte Karen?«
»Ja«, nickte ich und widerstand dem Versuch, meine schwitzigen Hände an der Jeans abzuwischen. Es gestaltete sich doch schwieriger, als ich gedacht hatte. »Ihre Tochter hat uns erzählt, dass Sie sich dort … äh … kennenlernten«, schubste ich die Sache behutsam an. Und was antwortete ich, wenn er nun wissen wollte, weshalb ich so neugierig war? Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen.
»Das ist richtig«, bestätigte er. »Ich war Wachmann. Sie lebte im Lager.«
Lisl kam mit dem Kaffeetablett herein und zwinkerte mir vergnügt zu, während Thomas aufsprang und es ihr abnahm.
»Er hat mein Herz mit Schokolade gewonnen.«
»Weil du so ein Hänfling warst, habe ich sie dir gegeben, meine Liebe«, protestierte er mit gespielter Empörung.
Es war klar, dass dieser Dialog nicht das erste Mal stattfand, und ich registrierte amüsiert, dass Thomas tatsächlich unauffällig anfing, die Elektrik des Hauses in Augenschein zu nehmen. Und bald war mir auch klar, weshalb Karen Sveneke uns – auch – zu ihren Eltern geschickt hatte: um ihnen schlicht eine Freude zu bereiten. Denn vor zwei Zuhörern die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen, das versüßte den beiden alten Leutchen sicht- und hörbar den Tag.
Lebhaft berichteten sie vom Alltag im Lager. Vom Chor, der dreimal in der Woche probte und jedenfalls ein bisschen Abwechselung in das eintönige Dasein brachte, von der Schule, die für die zahlreichen Kinder eingerichtet worden war, und wie man ganz allmählich begann, den anderen als Menschen und nicht lediglich als Feind zu betrachten. Sie fielen sich gegenseitig ins Wort und korrigierten sich liebevoll, etwa als die Sprache auf einen Peter Knaerke kam, der seine Mitgefangenen offenbar anschwärzte, wo er nur konnte, oder auf eine Erdmuthe aus Stettin, deren Onkel ein einflussreicher Nazi in Schleswig-Holstein gewesen war. Der habe seine Reden immer auf Plattdeutsch gehalten; das klang dadurch so schön gemütlich und gar nicht nach Mord und Totschlag. Nach dem Krieg sei der Mann jedoch wie vom Erdboden verschluckt gewesen – bis Erdmuthe im März 1948, nein, es sei im Februar gewesen, verbesserte Lisl Sveneke ihren Mann, eine Postkarte aus Südamerika erhalten habe. Da wusste das Mädchen, dass es ihm gut ging. Sie waren dermaßen engagiert bei der Sache, dass sie völlig vergaßen, mich zu fragen, weshalb mich dies alles interessierte.
Nach eineinhalb Stunden gelangte ich zu der Erkenntnis, dass ein Noch-Mehr an Informationen aus detektivischen Gründen absolut nicht vonnöten war, zumal Thomas neben mir anfing, unruhig auf seinem Sessel hin- und herzurutschen. Was ich erfahren hatte, würde reichen, um Almuth besser zu verstehen oder, um es ehrlicher auszudrücken, mir ihr Vertrauen zu erschleichen, auch wenn sie bei bester geistiger Gesundheit noch fünfzig Jahre lebte. Wir benötigten jedoch mehrere Anläufe, um uns zu verabschieden, schlugen den abendlichen Schweinebraten mit Kruste sowie die fünfte Tasse Kaffee und den zweiten Aquavit dankend aus und zeigten ebenfalls kein Interesse an dem angebotenen Wienerbrød, den der Rest der Welt Kopenhagener nennt.
Schweigend und wie betäubt von der geballten Informationsflut, marschierten wir anschließend zum Auto, schweigend entriegelte Thomas die Türen, schweigend sanken wir in unsere Sitze, schweigend ließ er den Motor an – um sodann leise glucksend loszufahren. Zwei Straßenecken weiter war es dann endgültig mit unserer Beherrschung vorbei, und wir sanken uns lachend in die Arme.
»Du meine Güte, hast du einen nervenaufreibenden Job, Hanna«, keuchte Thomas schließlich, während er hingebungsvoll an meinem Ohr knabberte. »Das waren zwei völlig verschenkte Stunden, gib es zu.«
»Nicht ganz«, widersprach ich friedlich, »die alten Svenekes fanden den Tag bestimmt ganz große Klasse. Die haben sich mordsmäßig gut unterhalten.«
»Ist denn bei dir Seniorenbetreuung inklusive?«, stänkerte Thomas.
»Manchmal schon«, gab ich gutmütig zurück. Er hatte ja recht. »Fahren wir weiter?«
»Zu Befehl, Madam. Und wohin?«
Wir lösten uns endgültig voneinander und beschlossen, hier in der Nähe noch eine Runde am Strand entlangzuwandern. Das Meer rollte träge dahin, niemand badete. In der Nacht hatte es das erste Mal geregnet, und die ohnehin nicht gerade schweißtreibenden Temperaturen waren noch ein Stückchen
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