Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
entlang in Richtung Shiensai. In mir brodelte es, und ich wollte diese negative Energie unbedingt loswerden. Das Weinen und Schmollen in meinem Zimmer half mir auch nicht weiter. Außerdem sollten sie mich nicht so am Boden zerstört sehen, diese ehemaligen Freunde. Diese Genugtuung gönnte ich ihnen nicht.
    Anwar, der natürlich nichts von unserem Familienstreit mitbekommen hatte, ritt übermütig lachend neben mir her. Wir galoppierten um die Wette durch den Fluss, und es tat mir gut, dass ich von oben bis unten nass wurde, auf diese Weise konnte ich mein Mütchen etwas kühlen.
    Wir mussten an einer Dreschanlage vorbei, und die Spreu wirbelte funkelnd durch die Luft. Meine nervöse Shari ging auf die Hinterbeine, und ich klammerte mich mit den Schenkeln an ihr fest. Gleichzeitig behielt ich die Zügel fest in der Hand. Statt Angst überkam mich ein Triumphgefühl.
    »Ha!«, schrie ich gegen das nervöse Wiehern meines Pferdes an. »Wenn ihr denkt, ihr könnt mich stürzen, dann träumt weiter! Ich bleibe fest im Sattel!«
    Anwar ahnte nichts von dem, was sich in meinem Innern abspielte und lachte sein frisches Jungenlachen. Da er Analphabet gewesen war, hatte ich ihn dazu verdonnert, mit mir gemeinsam Lesen und Schreiben zu lernen, natürlich auf Dari. Wir waren also ungefähr auf demselben Level: Er war langsam, ich war langsam. Natürlich nur beim Schreiben. Beim Galoppieren waren wir beide gleich schnell.
    »He!« Ich hielt die Zügel fest und brachte Shari zum Stehen. Sie schnaubte, weißer Schaum troff ihr vom Maul.
    »Ist das nicht Rahimas Haus da vorn?« Ich zeigte auf eines der winzigen Häuschen mit Mauer und Innenhof.
    Dadgul hatte dem armen Mädchen inzwischen von unseren Spenden ein eigenes kleines Häuschen geschenkt. Auf meinen Befehl hin, versteht sich: Junus, inzwischen Gastarbeiter in Dubai, war kurz auf Urlaub gekommen und hatte sie zwangsbeglückt. Die Spirale hatte wegen einer Entzündung entfernt werden müssen, und die arme Rahima war wieder schwanger geworden. Und wieder hatte sie »nur« ein Mädchen geboren. Danach war sie ihres Lebens nicht mehr sicher. In Panik hatte sie mit ihren drei kleinen Töchtern das Frauenhaus in Kunduz aufgesucht, aus dem ich sie dann herausgeholt hatte. Dieses Haus in der Neubausiedlung war ihre Rettung. Hier konnte sie sich mithilfe von zwei Ziegen, einer Kuh und einer eigenen kleinen Seifenproduktion ganz gut über Wasser halten. Das Ganze war offiziell über Katachel e . V. gelaufen, lag also in Dadguls Zuständigkeitsbereich.
    »Nein!«, sagte Anwar lachend. »Das ist nicht Rahimas Haus.«
    »Aber klar doch!« Ich tätschelte meiner Stute, die immer noch nervös tänzelte, beruhigend den Hals. »Das ist doch das kleine Häuschen, von dem mir Dadgul Fotos geschickt hat!«
    »Darin wohnt aber nicht Rahima!«
    »Aber ich erinnere mich genau! Rahima saß doch lächelnd davor, mitsamt ihren drei Kindern!«
    »Er hat es ihr nicht geschenkt.« Anwar beharrte auf seiner Meinung und sah mich mit seinen dunklen Augen aufrichtig an.
    »Aber – Katachel e . V. hat es ihr geschenkt«, beharrte ich. Schon wieder nagten schreckliche Zweifel an mir. »Ich habe es ihr mit Unterschrift und Stempel übertragen, mit allem, was dazugehört!«
    Anwar sah mich an und wiederholte: »Dadgul hat es Rahima nicht gegeben.«
    Eine Welt brach für mich zusammen. Ich sah förmlich, wie mein Lebenswerk einstürzte. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
    Ich sprang vom Pferd und rüttelte an der kleinen Haustür.
    Das Haus war leer.
    Bestimmt war Rahima nur spazieren gegangen, redete ich mir ein. Allerdings gehen die Frauen in Afghanistan nicht einfach mit Buggy, Fläschchen und Wolldecke zum nächsten Spielplatz oder so. Wo also war Rahima? War sie etwa NICHT in Sicherheit?
    Hatte ihr Schwiegervater sie womöglich mit Gewalt »nach Hause« geholt? Um sie als Sklavin für sich und seine Frau schuften zu lassen? Oder hatte sie das Haus wirklich NIE bekommen? Mir schnürte sich der Magen zusammen.
    Es hatte keinen Zweck, hier vor dem kleinen Häuschen zu stehen und mit Anwar zu diskutieren. Dazu waren meine Sprachkenntnisse zu schlecht.
    »Ach komm, was soll’s!« Ich gab Shari die Sporen, und wir galoppierten durch die klare Vollmondnacht zurück.
    Er spielt falsch, er spielt falsch, er spielt falsch!, hämmerten mir die Hufe in den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein! Ich musste mich irren. Es war ein Missverständnis, ein Sprachproblem, irgendwas! Dadgul hätte mir niemals Fotos

Weitere Kostenlose Bücher