Drachenklänge
aufgetragen, dieses Lied zu singen?«
zischte er halblaut, wobei er seinen Freund beinahe feindselig anstarrte.
»Meine Mutter«, versetzte Robinton verdattert, der sich diese heftige Reaktion nicht erklären konnte.
»Splitter und Scherben! Carola hat sich fürchterlich aufgeregt!« Falloner grinste. »S'loner dagegen war entzückt. Unser alter Harfner kannte es nicht und fand auch keine Aufzeichnungen, als S'loner ihn danach forschen ließ. Er wusste nur, dass ein solches Lied existierte. Möglicherweise strich G'ranad, der vorhe-rige Weyrführer, es aus dem Unterrichtsplan.«
158
»Text und Melodie befinden sich im Archiv der
Harfnerhalle«, erläuterte Robinton. »Ich musste mehrere Kopien anfertigen, für Harfner, die fortgingen und eine Stelle in einer Burg antraten.«
»Eines ist jedenfalls sicher – du hast meinen Vater sehr glücklich gemacht.«
»Warum?«
»Weil er mit Bestimmtheit weiß …« – Falloner legte eine bedeutungsvolle Pause ein –, »dass die Fäden zurückkommen werden. Und er bemüht sich, andere
von der Richtigkeit seiner Ansichten zu überzeugen.
Dieses Lied ist nicht nur eine Art Rätsel, es dient gleichzeitig als Warnung.« Er klopfte Robinton auf den Rücken. »Und wenn es soweit ist, werde ich auf dem Rücken meines Bronzedrachen in den Kampf ziehen.
Warte nur ab, Rob, du wirst es erleben.«
»Aber selbst wenn es stimmt, dauert es noch fünfzig Planetenumdrehungen oder gar mehr, bis es Fäden
vom Himmel regnet«, hielt Robinton ihm entgegen.
»Dann sind wir beide – du und ich – steinalt.«
»Die meisten Drachenreiter werden über hundert –
mit fünfzig stehen sie noch in der Blüte ihrer Kraft«, widersprach Falloner. »Der alte M'odon ist beinahe hundertundzehn Planetenumdrehungen alt, und sein brauner Nigarth strotzt vor Energie und Gesundheit.«
»Kann er sich an den letzten Fädenfall erinnern?«
»Nein, dazu ist er nicht alt genug, aber sein Urgroß-
vater hat gegen die Fäden gekämpft.«
In diesem Augenblick ermahnte Merelan die Klasse zur Ruhe. »Heute lernen wir das Lied der Fragen.
Weyrführer S'loner hat mich eigens darum gebeten, euch Text und Melodie beizubringen. Robinton, sing es uns bitte noch einmal vor, damit wir die Melodie im Ohr haben. Es sollte uns zur Ehre gereichen, dem Wunsch eines Drachenreiters nachzukommen, sowie
159
es allen Menschen geziemt, jeden Drachen und jeden Reiter mit äußerster Zuvorkommenheit zu behandeln.«
*
Fünf Tage später erschien ein grüner Reiter mit einer Einladung. Merelan und Robinton sollten im Weyr zu Abend speisen, und die Meistersängerin möchte doch bitte so freundlich sein und ein paar der neuen Musikstücke interpretieren, die man unlängst in Burg Benden gehört hatte.
Robinton war sich nicht sicher, ob man sie wegen des Lieds der Fragen eingeladen hatte oder sich einfach nur am Gesang seiner Mutter erfreuen wollte.
»Natürlich werde ich dort singen, Robie«, erklärte sie lächelnd ihrem Sohn. »Deshalb nehmen wir auch unsere Instrumente mit. Aber ich bin froh, dass man dich auch eingeladen hat. Ich möchte, dass du den Benden Weyr kennen lernst.« Sie legte eine Pause ein und zwinkerte ihm komplizenhaft zu. »Dann hast du keine Angst, wenn du eine Nacht im Fort Weyr verbringen musst.«
»Woher weißt du das?« Die Lehrlinge verrieten niemandem etwas von dieser Mutprobe, und ein Mädchen hätten sie erst recht nicht eingeweiht.
Merelan schmunzelte. »In der Harfnerhalle gibt es viele offene Geheimnisse, über die man nur nicht spricht. Natürlich hätte ich keinen Augenblick lang ernsthaft angenommen, du könntest dich des Nachts in einem leeren Weyr fürchten.«
Geschmeichelt warf sich Robinton in die Brust. »Aber sind nicht alle Weyr verschieden?«
Merelan dachte darüber nach. »Doch, sicher, und in den Archiven lagern sogar Karten, die Auskunft da-rüber geben, wie ein Weyr angelegt ist. Das heißt, dieses Kartenmaterial zur Orientierung müsste vorhan-160
den sein. Sowie ich nach Fort zurückkehre, werde ich mich darum kümmern.«
»Wann gehen wir denn zurück, Mutter?« Nicht,
dass es Robinton nach Hause gezogen hätte. Hier in Benden fühlte er sich ausgesprochen wohl, und einen so guten Freund wie Falloner hatte er noch nie gehabt.
Seine Mutter strich ihm über das Haar.
»Vermisst du die Harfnerhalle?«
»Nicht, wenn du mich unterrichtest«, erwiderte er.
»Obwohl du strenger mit mir bist als Meister Washell oder Kubisa.«
»Tatsächlich?«
»Es gefällt mir, dass
Weitere Kostenlose Bücher