Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
möglich den Metabolismus der Glumpe analysieren – möglicherweise müssen wir sie binnen kürzester Frist umsiedeln; Sie wissen doch: die Sonnenbeben…”
Hendrikje schluckt nervös. Umsiedeln? Heißt das, diese furchtbaren Ungeheuer sollen an Bord der Ikaros gebracht werden?
“Können Sie denn nicht auf demselben Weg verschwinden, auf dem sie hergekommen sind?” fragt sie zaghaft.
“Wahrscheinlich nicht”, antwortet der Elloraner leise, “denn sie wissen gar nicht, wie sie auf den Merkur geraten sind, wissen nicht, woher sie kommen und wo ihre Heimat ist…”
“Von der Hohen Aue behauptet, es wären Menschen”, flüstert Goff.
Hendrikje schreit entsetzt auf. “Nein! Das sind keine Menschen! Seht sie euch doch an! Das können gar keine Menschen sein.”
Goff legt seinen Arm um sie und versucht, sie zu beruhigen. “Zweifellos sind es Hominiden, so wird er es gemeint haben”, sagt er und erklärt ihr irgend etwas von identischen Biotopen und Lebensweisen, von Strategien der Evolution, Selektion und Mutation.
Hendrikje nimmt den Sinn der Worte kaum wahr, nur ein verschwommener Gesamteindruck dringt bis in ihr Bewußtsein. Aber ihr Gefühl sagt ihr ganz deutlich, daß Goff diese Erklärung selbst nicht recht glauben will.
Während Goff redet, schlurft der Bordarzt mit zwei Petrischalen heran und kratzt und schabt an den Raumanzügen von Hermel und Ellis herum. Auf die erstaunte Frage des Elloraners reagiert er nur mit einem unwilligen Knurren, doch in seinen Augen glitzern eisige Fünkchen wie von einer entsetzlichen Vorahnung. Eilig verläßt er die Intensivstation, dabei in höchster Erregung vor sich hin flüsternd.
“… diese Dummköpfe…, kommen sich wer weiß wie klug vor…, denken nicht an das Nächstliegende…”, versteht Hendrikje nur.
“Unser Doktor Allwissend tut ja so, als habe er gerade den Stein der Weisen entdeckt”, sagt Skamander rauh. “Was ist denn nun schon wieder in ihn gefahren?”
Der Elloraner blickt Skamander seltsam an. Hendrikje schauert zusammen, als sie den Ausdruck des Entsetzens in diesen etwas hervorstehenden Augen sieht. “Wenn Quadrangel den gleichen Gedanken hat, der mir gerade durch den Kopf ging…”, sagt Ellis leise und beißt sich auf die Lippen. Dann springt er auf und läuft dem Arzt hinterher.
Hendrikje schmiegt sich ängstlich an Goff. Alles ist so unheimlich und unverständlich. Sogar Goff ist ihr etwas fremd geworden, und beinahe hat sie sich vor ihm gefürchtet, als er wie zur Salzsäule erstarrt dasaß und gemeinsam mit Skamander und Ellis in diesen unfaßbaren Ozean der Gedanken tauchte, der nur wenige Auserwählte einläßt. Sind das die ersten Anzeichen für das nahe Ende ihrer Liebe? Es besteht kein Zweifel daran, daß Mungoismus allem Anschein nach mentale Befähigung oder wenigstens Veranlagung erzeugt. Wird Hermel ihr immer fremder werden, sich so sehr verändern, daß es eines Tages nichts Gemeinsames mehr geben wird in Gedanken und Gefühlen? Sie bemerkt kaum, daß sie weint. Dafür aber spürt sie eine Wärme in ihren Leib dringen, die alle Zweifel und Befürchtungen verdrängt: Goffs Hand streichelt zärtlich über ihren Bauch, und fast will es ihr scheinen, als strecke und wälze sich das Ungeborene wohlig unter dieser Liebkosung.
Nein, denkt sie, diese eine Gemeinsamkeit kann uns auch das härteste Schicksal nicht nehmen. Und wenn es ein Mungo wird, so wird es doch sein wie Goff: unerschrocken und hartnäckig, ungeduldig – sicherlich, aber auch erfüllt vom unbeugsamen Willen, zu verändern, zu verbessern. Sein Leben wird auflodern wie eine Flamme, erhellend und blendend, wärmend und sengend. Schöpfend und vernichtend, denn verändern ist erschaffen und zerstören zugleich. Dieses Leben darf ich meinem Kind nicht verbieten.
Gedankenverloren fingert Hendrikje das Etui aus der Brusttasche ihres Schmeichelmoosoveralls und stochert mit dem Zeigefinger in dem grünlichen Gelee. Gerade will sie die Qualle in den Mund stecken, da greift Goff zu und schiebt sie sich lächelnd zwischen die Lippen.
“Soll ja ungemein beruhigend wirken, wenn man mal eine Weile mehr fühlt als denkt”, sagt er entschuldigend. “Ich brauche endlich mal eine Ruhepause, wirst du sicher verstehen…”
Hendrikje sieht ihn erstaunt an, dann sagt sie nachdenklich: “Weißt du, Hermel, ich glaube allmählich, richtig fühlen ist ebenso anstrengend wie richtig denken.”
KAPITEL 23
Skamander windet sich behende durch die Glumpe, trommelt Roch
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