Drachenland: Roman (German Edition)
zerriss. Aber vorläufig bot er noch reichlich Deckung, zusammen mit den Felsen, Bäumen und Sträuchern.
Falkenwind, der mit einem fast unheimlichen Gefühl für die richtige Richtung durch den Nebel ritt, hatte viele Soldaten aufgespürt und zurück zum Gros der Armee geführt. Er saß jetzt zu Pferd, General Vora neben ihm, während die Hauptleute die Armee neu formierten.
»Wir brauchen mehr Truppen«, sagte der General. »Bis jetzt haben die Umstände die Fandoraner begünstigt. Wenn es noch lange so weitergeht, untergräbt das die Disziplin …«
Rufe unterbrachen ihn, mehrere Soldaten zeigten zum Himmel. Falkenwind und Vora sahen, wie sich Kiortes Windschiff langsam und exakt auf eine kleine ebene Fläche in der Nähe herunterließ. Soldaten ergriffen die Seile und zogen das Windschiff sicher an seinen Liegeplatz. Bevor es endgültig gelandet war, sprangen Kiorte und Thalen heraus. Thalen bat einen Wundarzt, seine Hände zu verbinden, die von dem Abseilen voller Brandwunden und Blasen waren. Kiorte ging mit raschen Schritten zu Falkenwind und Vora.
»Willkommen, Prinz Kiorte!«, sagte Falkenwind. »Die Rettung Eures Bruders war ein Meisterstück!«
Kiorte ignorierte das Kompliment. Er stand mit verschränkten Armen vor Falkenwind. »Diese Schlacht läuft nicht gut«, sagte er. »Der Nebel lichtet sich jetzt. Wir müssen eine Windschiffflotte einsetzen und diesem hier ein Ende bereiten.«
»Das geht nicht -«, sagte Falkenwind, aber Kiorte unterbrach ihn zornig.
»Warum nicht? Weil ein Zufallstreffer das Schiff meines Bruders heruntergeholt hat? Das wird nicht wieder passieren, wenn wir richtig vorgehen, anstatt so tief zu fliegen, dass wir die Läuse in ihren Haaren zählen können!«
Vora war entsetzt über diesen Ausbruch.
Falkenwind sagte ruhig: »Es geht nicht, weil wir – so unglaublich es klingt – auch von einem Drachen bedroht werden.« Er wollte weitersprechen, aber einer der Adjutanten schnitt ihm das Wort ab.
»Er kommt zurück!« Der Mann zeigte voller Entsetzen nach Norden. Alle blickten hin.
Im Nebel zeichnete sich undeutlich etwas Gewaltiges ab. Es kam rasch näher, ein dunkler Schatten am Himmel, der sich in ein Riesenwesen mit Fledermausflügeln verwandelte.
»Bei den Wolken!«, fluchte Kiorte. »Das kann nicht sein!«
Falkenwind wandte sich an die Soldaten. »Geht in Deckung!«, rief er. »Der Drache ist zurückgekehrt!«
Lagow hatte versucht, sich bei jenem ersten Ausbruch wahnsinniger Kampfwut zurückzuhalten. Er hatte versucht, die Männer, für die er verantwortlich war, zur Vernunft zu bringen, aber sie wollten nicht auf ihn hören, und viele waren gefallen. Er hatte sich um die Verwundeten gekümmert, so gut er konnte, aber es reichte alles nicht.
Er fühlte sich alt, und er wurde von Minute zu Minute älter, dachte er bitter. Jetzt kauerte er im Nebel hinter einem Felsen und lauschte. Seit geraumer Zeit schwieg der Schlachtenlärm, aber Lagow rührte sich nicht. Vielleicht sollte er zur anderen Seite des Felsens gehen, unter den Überhang, wo er etwas sicherer war? Er hatte diesen Krieg, diesen Wahnsinn satt. Lagow dachte an seine Familie, an seine Frau und die Kinder. Er konnte ihnen wenigstens ein ansehnliches Erbe hinterlassen. Und er hatte seinen Sohn von diesem Irrsinn ferngehalten. Darauf war er stolz. Keine bemerkenswerte Grabschrift, aber die beste, die er zu bieten hatte.
Er fror, und ihm war elend zumute – umso mehr, als Wind aufgekommen war. Er blinzelte nach oben und stellte fest, dass der Nebel sich allmählich auflöste. Jetzt hörte er etwas, ein leichtes Pulsieren des Windes, fast wie Atmen oder das Flattern von Segeltuch. Es kam von Norden. Zuerst beobachtete er es in seiner Teilnahmslosigkeit nicht, aber die langsame, drohende Gleichmäßigkeit des Geräusches veranlasste ihn endlich, seinen Platz zu verlassen und um den Felsen herumzugehen, um nach oben zu blicken.
Das Geräusch wurde lauter. Lagow blieb unter dem Überhang stehen und starrte in den Nebel hinauf. Seine Augen weiteten sich vor Furcht; über ihm, undeutlich im Nebel, flog eine Riesenkreatur, ein Schlachtschiff der Lüfte. Lagow trat in panischem Schrecken zurück – und fühlte, wie sein Stiefel etwas Weiches, Nachgebendes berührte, etwas, was nicht Teil des Bodens war. Er blickte rasch hinunter. Unter seinem Stiefel sah er eine Hand, und es war Tenniels Hand. Der junge Älteste lag auf dem Rücken, mit geschlossenen Augen und blassem Gesicht. Aus seiner Schulter ragte ein
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