Drachenland: Roman (German Edition)
Fußweg durch die Büsche entlangliefen, sah Amsel die Kutsche vor dem Palasttor zum Stillstand kommen. Der Wächter trat vor, machte aber offensichtlich keine Anstalten, das Tor zu öffnen, sondern fuchtelte nur Entschuldigung heischend mit den Händen herum.
Einen Augenblick später zerrte Ceria am Schnappschloss des Gärtnereingangs. Dahinter lag üppiger grüner Rasen. »Wir haben es geschafft!«, sagte Amsel. »Noch nicht«, entgegnete Ceria. »Er wird die Prinzessin nicht lange aufhalten können.«
Und wirklich – kaum hatte man Amsel und Ceria auf dem Rasen entdeckt, da öffnete sich auch schon die Pforte hinter ihnen, und Evirae stürmte hindurch, gefolgt von Tolchin und Alora. Sie kreischte: »Haltet sie fest! Wache! Haltet sie fest, bevor sie den Palast erreichen!« Der Wächter gehorchte, jedoch mit der Schwerfälligkeit eines Mannes, der doppelt so alt wie er war.
Ceria und Amsel stürmten quer über den Rasen und folgten dann einem kurzen, aufwärtsführenden Pfad, der mit dichten Reihen von Honigblumen und Sanikeln gesäumt war. Sekunden später erreichten sie den Säulengang und standen zwei Wächtern gegenüber, noch außer Reichweite der Schreie der Prinzessin.
»Wache!«, sagte Ceria. »Die Prinzessin hat befohlen, diesen armen Burschen gefangen zu nehmen. Du musst sie zurückhalten! Er steht unter dem Schutz von König Falkenwind!«
Der Wächter salutierte. Die beiden liefen in dem Augenblick in den Palast, als Evirae hinter ihnen auftauchte.
»Er wird sie einen Moment aufhalten«, flüsterte Ceria. »Aber die Prinzessin wird sich über meine Anordnung hinwegsetzen. Komm mit!«
Amsel nickte nur, ihm fehlte der Atem für Worte. Er hatte auch keine Zeit, die Schönheit des Palastes zu genießen. Die Säulen aus poliertem Holz am Eingang waren mindestens fünfzig Fuß hoch, und sie maßen nur einen winzigen Bruchteil der Höhe des ganzen Raumes. Der Marmorboden der großen Halle, die sie vom Hintereingang aus betreten hatten, war mit Topasen eingelegt. Sie eilten unter einer hohen, gewölbten Decke entlang, von der übergroße Gobelins mit Bildern der Geschichte Simbalas herunterhingen. Und all das, dachte Amsel voller Staunen, am Hintereingang!
Sie liefen eine schmale hohe Treppe an der Ostseite des Palastes hinauf. Als sie auf dem oberen Flur ankamen, stürzten Evirae, Tolchin und die Wachen in die Halle. »Dort oben!«, rief die Prinzessin. »Ihnen nach!«
Ceria und Amsel kamen zur zweiten Ebene, einem Zwischenstock. Weitere Wächter tauchten auf. Sie sahen die Ministerin und den Spion auf sich zulaufen und schnitten ihnen den Weg ab, doch Ceria und Amsel rannten durch eine Seitentür, die in eine der kleineren Bibliotheken des Palastes führte. Es zerriss Amsel fast das Herz, an all den wunderbaren Büchern, Schriftrollen und Landkarten vorbeilaufen zu müssen.
Sie hasteten durch einen verzierten Bogengang und einen kurvenreichen Flur; die Wächter dicht auf den Fersen. Die wenigen noch verbliebenen Kammerherren und Höflinge starrten ihnen nach, verblüfft über den Anblick einer von Wachen verfolgten Ratgeberin des Monarchen. Ein hochgewachsener Mann war den anderen Wachen voraus und packte Cerias Umhang. Sie entwand sich seinem Griff geschickt, so dass er stürzte. Die übrigen Verfolger hielt sie durch einen großen Gobelin auf, den sie herunterriss und ihnen in den Weg warf. Dann lief sie mit Amsel wieder eine Treppe hinunter bis zur unteren Palastebene, wo sich die riesige Küche befand. Düfte, Pfannengeklirr und Rufe der Köche drangen herüber.
»Wir haben etwas Zeit, bevor sie uns finden«, keuchte Ceria. »Am besten ist es, du sagst mir, was du Falkenwind zu berichten hast.«
Amsel holte mehrere Male tief Luft und nickte. »Ich bin aus eigenem Antrieb hier«, sagte er, »aber ich hoffe, dass das, was ich weiß, sowohl Simbala als auch Fandora hilft. Mein Volk wirft Simbala einen unerklärlichen Angriff auf fandoranische Kinder vor.«
»Auf fandoranische?«, rief Ceria aus. »Ein Kind aus Nordwelden wurde doch ermordet!«
Bevor Amsel seine Ungläubigkeit zum Ausdruck bringen konnte, hörten sie Schritte auf der Treppe.
»Schnell!«, sagte Ceria. »Sie sind uns auf der Spur!« Sie liefen durch zwei schwere Holztüren und befanden sich in einer der Küchen. Die von einem der großen Herde aus Stein ausstrahlende Hitze war überwältigend. Gestalten in Schürzen liefen umher mit Terrinen und Backformen. Ceria kümmerte sich nicht um sie, obwohl alle sie anstarrten, als sie
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