Drachenland: Roman (German Edition)
es lediglich die Stimme einer alten Frau, nörgelnd und sogar etwas furchtsam.
Die vier Männer bauten sich vor ihr auf: Tenniel und Lagow auf ihre Stöcke gelehnt, Tamark unbewegt und Jondalrun mit verschränkten Armen, bereit, dachte Lagow, der alten Frau den dürren Hals umzudrehen, wenn er keinen Talisman erhielt.
»Frau«, sagte Jondalrun mit entschiedener, harter Stimme, »Fandora wird gegen Simbala Krieg führen. Wir brauchen etwas, was unsere Männer vor der Zauberei der Simbalesen beschützt. Ich selbst halte das für dummes Zeug, aber die Mehrheit wünscht es. Gib uns also irgendeinen Zauber, der unseren Sieg garantieren wird.« Er fügte einen kurzen Bericht über den Tod der Kinder hinzu. Dann schwieg er, und um sie herum war das Schweigen des Fenns.
Die alte Frau senkte den Kopf. Tenniel dachte zuerst, sie sei eingeschlafen, so ruhig und bewegungslos hockte sie da. Dann hörte er ein leises trockenes Geräusch wie zwei Stück ungegerbtes Leder, die aneinandergerieben werden, und plötzlich kam ihm zum Bewusstsein, dass die alte Frau lachte. Oder weinte? Er war nicht sicher.
Sie starrte sie wieder an, und in ihren Augen sah er eine tiefe Traurigkeit. Mit trockener, zischender Flüsterstimme sagte sie: »Wer bin ich, dass ihr dies von mir verlangt? Ich weiß«, sie hob eine abgezehrte Hand, um einer Antwort zuvorzukommen, »ich bin die, die ihr die Hexe vom Fenn nennt. Die bin ich«, schrie sie plötzlich, »verdammt zu einem Exil in Schlamm und Nebel und dem gelegentlichen Geschwätz von Dummköpfen!«
Nach diesem Ausbruch verstummte sie, murmelte nur leise vor sich hin. Tenniel und Lagow blickten einander unsicher an; sogar Tamark schien überrascht. Allein Jondalrun zeigte sich unbewegt.
»Du bist die mit dem Wissen, das wir brauchen«, sagte er derb. »Wir haben keine Zeit für müßige Unterhaltung. Gib uns, was wir brauchen.«
Sie lachte freudlos. »Schon lange kauere ich hier auf diesem trostlosen Hügel«, sagte sie langsam. »Das ist meine einzige Abwechslung in der Eintönigkeit – Besucher wie ihr. Im Übrigen bin ich vergessen. Kennt einer von euch auch nur meinen Namen?«, schrie sie.
Tenniel stellte zu seiner großen Überraschung fest, dass er Mitleid mit ihr hatte. Ihm war plötzlich klar geworden, dass sie einmal jung gewesen war, vielleicht sogar hübsch, wenn man sich das auch schwer vorstellen konnte. Sie hatte eine Vergangenheit, hatte Eltern gehabt, hatte vielleicht sogar Liebe gekannt. Sie hatte sich in die Geheimnisse der Natur vertieft und war bestraft worden. Vielleicht hatte sie nichts Böses im Sinn gehabt. Aber sie hatten sie »Hexe« genannt und sie verbannt. Tenniel spürte eine tiefe Traurigkeit in sich aufsteigen.
»Lassen wir sie in Ruhe«, murmelte er, halb zu sich selbst. Jondalrun blickte ihn an, und zu seiner Überraschung sah Tenniel Unsicherheit in dem Blick. Dann wandte Jondalrun sich wieder der Frau zu.
»Es tut mir leid, alte Frau«, sagte er. »Aber wir müssen unsere Männer schützen.«
»Ich würde euch anlügen, wenn ich das könnte«, sagte sie. »Ich würde dafür sorgen, dass ihr eure Reise umsonst gemacht habt, aber ihr kämt doch nur zurück, um Rache zu nehmen. Auch Wesen wie ich hängen am Leben.« Sie tauchte mit einer Hand in die Falten ihrer Gewänder und zog sie wieder hervor, gefüllt mit kleinen schwarzen Schoten. Lagow erkannte sie überrascht als die gleichen Schoten, die sie bei sich getragen hatten, um die üblen Gerüche des Fenns abzuwehren.
Sie bot Jondalrun die Schoten an: »Diese gibt es im Sumpf überall. Macht Armbänder daraus und gebt gut auf sie acht, denn sie sind alles, was euch vor einem Feind beschützt, den ihr gar nicht kennt.«
Jondalrun steckte sie in seine Tasche. »Was meinst du damit?«, fragte er. »Wie sollen wir sie benutzen?«
»Mehr werde ich nicht sagen«, entgegnete sie. »Fort mit euch, ihr Männer, die ihr eine Familie und ein Zuhause habt und so töricht seid, sie für einen Krieg aufs Spiel zu setzen.« Sie kauerte sich wieder nieder und wurde zum zweiten Mal zu einem regungslosen Lumpenhaufen.
Die Männer zogen sich langsam und still zurück. Als sie den Sumpf wieder betraten, blieb Jondalrun stehen, um weitere Schoten zu pflücken, und forderte seine Begleiter barsch auf, es ihm nachzutun. Sie pflückten, bis die Dämmerung nahte. Danach beeilten sie sich und folgten ihren eigenen Spuren zurück. Sie hielten am Rand des Sumpfes Lager und verbrachten eine unruhige, von Mücken geplagte Nacht.
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