Drachenland: Roman (German Edition)
Familie ihre Herrschaft über den Palast verloren.«
»Bitte, Evirae«, sagte die Baronesse. »Das haben wir schon viele Male gehört! Wenn du sonst nichts Neues zu berichten hast, dann gehe sofort zum Palast und unterrichte Falkenwind.«
»Die Familie«, sagte Evirae geduldig, »man muss Rücksicht auf die Familie nehmen. Wenn die Fandoraner wirklich angreifen, werden schwere Zeiten für Simbala kommen. Wollt ihr die Zukunft unseres Landes, unserer Familie wirklich dem Sohn eines Bergmanns anvertrauen?«
Auf diese Frage antworteten Alora und Tolchin nicht. Es hatte Zwischenfälle gegeben, Gerüchte, aber der neue Monarch hatte noch nie etwas getan, was gegen die Interessen Simbalas ging. Dennoch – wenn es Krieg gab: War er der richtige Mann, das Land zu regieren? Sie hatten sich diese Frage noch nicht gestellt. Selbst Ephrion hatte keinen Grund gehabt, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. Als Tolchin gegen die Handelsembargos protestierte, die Falkenwind verhängt hatte, sagte der alte Mann zu ihm: »Falkenwind braucht eine gewisse Anlaufzeit.«
»Falkenwind hört mehr auf die Rayanerin als auf uns«, sagte die Prinzessin vorsichtig. »Wir wissen nicht einmal, wem ihre Loyalität gilt. Ich mache mir wirklich Gedanken, Alora, wenn ich mir vorstelle, dass Oberwald in Kriegszeiten von den Plänen der Tochter eines Diebes abhängig sein könnte!«
Die Baronesse goss sich noch eine Tasse Tee ein. Tolchin stand auf und begann, im Zimmer auf und ab zu schreiten.
Evirae appellierte an ihren Patriotismus. »Im Interesse der Sicherheit Simbalas«, sagte sie, »wäre eine gewisse Vorsicht doch gewiss nicht fehl am Platze?«
Baron Tolchin fragte vorsichtig: »Was stellst du dir vor, mein liebes Mädchen?«
»Eine kleine Prüfung«, entgegnete Evirae.
»König Falkenwind ist kein Kind!«, sagte die Baronesse. »Er unterzieht sich doch keinen Prüfungen!«
»Wenn er von der Prüfung nichts weiß, kann er nichts dagegen einwenden.« Evirae setzte sich hin.
»Jetzt ist keine Zeit für törichte Spielchen.«
»Dieses wird nicht viel Zeit brauchen«, antwortete Evirae.
Tolchin durchquerte das Zimmer und ließ einen gelben Vorhang am einzigen Fenster des Zimmers herunter. »Sage uns«, er musterte Evirae misstrauisch, »was dir vorschwebt.«
Lathan hatte sich immer als zivilisierten Mann betrachtet, als vernünftig und ausgeglichen und ohne Groll gegen seinen Monarchen. Aber ein anstrengender Tag- und Nachtritt durch den Wald und dann ein Abend, an dem er feucht und hungrig im Gebüsch kauerte und zusah, wie die Männer aus Nordwelden wilden Truthahn und Yamswurzeln aßen, reichten, um einem Mann unfreundliche Gedanken einzugeben. Doch allmählich schien es, als würden sein langer Ritt und sein langes Warten endlich reiche Früchte tragen.
Es war Nacht an der Grenze Nordweldens. Die Luft war frisch, und es roch nach den Kiefern, die hier im Norden gediehen. Der Wind reichte gerade aus, um Lathans unbequeme Stellung noch unangenehmer zu machen. Eine rauhäutige Eidechse kroch auf der Suche nach Wärme in seinen Stiefel, und er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien, als die scharfen Schuppen an seinem Bein entlangkratzten. Gereizt zog er den Stiefel aus und warf die Eidechse weg. Dafür allein verdiene er einen Orden, sagte er sich. Dann konzentrierte er sich auf die Unterhaltung, die durch die Sträucher und Zweige zu ihm drang.
»Was sie zu sagen hatte, war mehr als ›guten Morgen‹, sage ich dir!« Der Mann aus Nordwelden berichtete zu Lathans ungläubigem Erstaunen von einer Begegnung mit der Prinzessin von Simbala persönlich. Er und sein Gefährte rasteten an einem Proviantversteck – einem kalten Bach, in dem in einem wasserdichten Lederbeutel Weinschläuche gelagert waren. Der Wein hatte Willens Zunge gelöst. Er berichtete von der Verschwörung der Fandoraner gegen Simbala und von den Beschuldigungen, die die Prinzessin gegen Falkenwind erhob. Das war mit Sicherheit Landesverrat, dachte Lathan, und er war im Begriff, sich auf den Rückweg zum Palast zu machen, als er über sich ein merkwürdiges Rascheln hörte.
Das matte Mondlicht wurde plötzlich von einem großen Schatten verdunkelt, der über dem Boden schwebte. Die beiden Weldener blickten auf, ebenso wie Lathan. Über ihnen wurden die Sterne verdeckt durch die Silhouette eines Windschiffs – eines Einmannschiffs, kleiner als die meisten der Flotte, aber dennoch riesig und beeindruckend. Es näherte sich langsam dem
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