Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert
vielleicht sonst nichts für Mutter tun,
aber jedenfalls kann er rennen. Und«, fügte sie hinzu, als sie
sah, wie Gilons Besorgnis wuchs, »er braucht nicht lange zu
Bigardus und zurück, solange er unterwegs keinen seiner
dämlichen Freunde trifft und – «
»Vielleicht sollten wir doch nicht gehen«, sagte Gilon. »Ich
meine, wenn du glaubst, daß deiner Mutter etwas passiert, oder
daß Caramon ohne uns nicht zurechtkommt…« Zweifelnd hob
er die Hände.
Es war Gilons Idee gewesen, heute der Zauberschule einen
Besuch abzustatten. Kits Stiefvater hatte zwei lange Abende
am Küchentisch verbracht und an einem Brief an den
Zaubermeister gesessen, in dem er ihn bitten wollte, Raistlin
als Schüler aufzunehmen. Auf der Suche nach den richtigen
Worten, dem richtigen Ton, hatte er sich den Kopf zermartert.
Aber er war mit keinem seiner vielen Entwürfe zufrieden
gewesen, und am Ende des zweiten Abends war er
aufgestanden, hatte das Papier zerknüllt und ins Feuer
geworfen.
»Briefe sind so unpersönlich«, hatte er erklärt. Er werde
selbst hingehen und für sein jüngstes Kind vorsprechen. Dann
konnte der Zaubermeister gleich sehen, was für ein begabter
Schüler Raistlin wäre.
Die Zauberschule lag irgendwo verborgen am Rand von
Solace.
Ihre genaue Lage gab Anlaß zu Gerüchten und Klatsch, und
Kit kannte niemanden, der glaubhaft versichern konnte, daß er
wirklich dagewesen war. Doch der geradlinige, dickköpfige
Gilon war entschlossen, sie zu finden. Kit wußte, daß Gilon
Raists Zukunft genauso »sichern« wollte wie sie selbst, wenn
auch aus anderen Gründen.
»Nein, nein, Caramon wird schon klarkommen. Nur
Rosamund schafft das vielleicht nicht. Wir müssen einfach
dreimal auf Holz klopfen«, meinte sie zu Gilon
– ohne ihn
besonders zu trösten.
Während ihres heimlichen Geflüsters war Caramon
aufgewacht und schläfrig zum Tisch geschlurft, wo Rosamund
Raistlin zu ein paar Löffeln Getreidebrei zu überreden
versuchte. Kit sah, wie ihre Mutter sich mit liebevollem
Lächeln Caramon zuwandte und ihn umarmte, bevor sie ihm
eine große Schale Brei vorsetzte. Caramon vertilgte eifrig sein
Frühstück und fragte mit vollem Mund, was es sonst noch zu
essen gab.
Beide Jungen betrachteten ihre Mutter hingebungsvoll, denn
sie waren offensichtlich entzückt, daß sie auf war und
herumlief. Rosamund sah von ihrer Arbeit auf und begegnete
Kits prüfendem Blick.
»Kitiara, willst du nicht auch etwas essen, bevor ihr
aufbrecht? Ihr habt heute morgen einiges vor, und wer weiß,
was für Gastfreundschaft euch an eurem Ziel erwartet«, sagte
Rosamund freundlich.
»Mach dir um mich keine Sorgen, Mutter.« Kit mußte eine
Schärfe in dieses Wort gelegt haben, die ihre Mutter
zusammenzucken ließ. »Ich habe Brot und Käse eingepackt,
genug für mich und Gilon und Raistlin. Ich kann mich gut um
mich selbst kümmern – das mach’ ich schließlich seit Jahren.
Fang bloß nicht an, dir jetzt Gedanken um mich zu machen.«
Rosamund wurde rot und wandte sich wieder den Zwillingen
zu. Caramon, der sich eifrig Brei in den Mund schaufelte, hatte
nicht auf den Wortwechsel geachtet, aber der immer
aufmerksame Raistlin hatte stirnrunzelnd zugehört.
Gilon kam von draußen herein und löste die Spannung.
»Mach zu, Raist. Wir wollen früh da sein, damit der
Zaubermeister auch Zeit hat, uns zu empfangen. Kit, bist du
fertig?«
Raistlin rutschte von seinem Stuhl, ließ sich von Rosamund
das Gesicht abwischen und stellte sich zu Gilon an die Tür. Kit
band den Beutel mit Vorräten zu, den sie vorbereitet hatte, und
warf ihn sich über die Schulter. Gilon gab
Rosamund einen
sanften Kuß auf die Stirn und zögerte dann.
Offensichtlich war er immer noch hin und her gerissen, ob er
sie und Caramon den Tag über allein lassen sollte.
Rosamund, die wie der Inbegriff einer – wenn auch etwas
ungepflegten
– Hausfrau aussah, zuckte angesichts seiner
Besorgnis liebevoll mit den Schultern. »Geht schon«, drängte
sie. »Wir kommen schon zurecht.«
Als sie das Haus verließen, hatte Caramon bereits den
Mörser aus dem Geschirrschrank geholt und kniete auf einem
Stuhl am Eßtisch, wo er entschlossen Sonnenblumenkerne
zerquetschte, während seine Mutter strahlend vor Stolz zusah.
Kit ging als letzte. Sie beobachtete die häusliche Idylle,
bevor sie die Tür zumachte, wobei sie gleichermaßen von Neid
wie von Trotz erfaßt wurde. Sie haßte es, wie Gilon und die
Zwillinge Rosamund während ihrer »normalen« Zeiten
anhimmelten. Wenn ihre
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