Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
des Phönix. Nur zwei meiner Onkel und einer meiner Brüder sind Gärtner – die, deren Leben du gerettet hast. Die anderen wohnen ein paar Ta’vri vor der Stadt.« Sein rundes, ernstes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Er tätschelte den Krug wie ein stolzer Vater ein besonders wohlgeratenes Kind. »Das hier ist Honig von roten Bienen.«
Shei-Luin hätte beinahe das Buch fallen lassen. Hinter ihr keuchte Tsiaa. Honig von roten Bienen wurde wegen seines zarten Geschmacks und seiner Seltenheit überall in Jehanglan geschätzt. Shei-Luin hatte seit jenem Tag im Garten versucht, mehr über rote Bienen zu erfahren; Xiane hatte ganz recht gehabt, sich zu fürchten. Rote Bienen waren aggressive Geschöpfe; wenn man sie störte, griff der gesamte Schwärm an -eine Gewohnheit die, wie sie entdeckte, zu grausamen Zwecken genutzt wurde.
Jehangli-Adlige durften offiziell nicht über Leben und Tod ihrer Diener entscheiden; die Todesstrafe zu verhängen war einzig das Recht des Kaisers. Aber eine beliebte Möglichkeit, diese Einschränkung zu umgehen, bestand darin, den unglücklichen Sünder auszuschicken, die Waben aus einem Stock roter Bienen zu holen. Wenn man schnell genug war, konnte man den wütenden Bienen entkommen – so hieß es zumindest.
»Deine Verwandten haben dir diesen Honig gegeben?« fragte sie neugierig. Auf Zyuzins Nicken hin betrachtete sie das schlichte Tongefäß genauer. Es war nicht einmal geglättet; die Abdrücke der Finger des Töpfers waren noch deutlich zu sehen. Wenn dies der beste Krug war, den sie sich leisten konnten, konnten sie sich dann Honig von roten Bienen leisten? »Kommt er aus dem Bienenstock im Garten?«
»Nein, Begünstigte, nicht von diesem – dieser Bienenstock wurde vernichtet. Der Honig kommt aus den Bienenstöcken meiner Familie. Sie sind nämlich Imker«, sagte Zyuzin, »und gehören zu den wenigen, die rote Bienen halten können. Ein anderer Onkel und mein Großvater können sie in den Schlaf summen. Sie haben dir den Honig geschickt, um ihre Dankbarkeit für die Rettung von Padlen, Vui und Akaro zu beweisen.«
Shei-Luin war gerührt. Dies hier mußte ein großer Teil ihrer Ernte sein; Zyuzins Familie hatte ein mageres Jahr vor sich. Sie würde ihnen viel gute Hirse und Trockenfleisch schicken und den einen oder anderen Ballen festen Tuchs. »Ich danke ihnen für ihre Großzügigkeit«, sagte sie. »Aber du hast mich bereits mit deinen wunderschönen Liedern im Garten ausreichend für meine Hilfe belohnt.«
Zyuzin errötete und senkte bescheiden den Blick. Murohshei lächelte.
Dann fiel Shei-Luin etwas ein. »Wir sollten dies mit seiner Kaiserlichen Majestät teilen«, sagte sie.
Zyuzin verzog erschrocken das Gesicht.
»Keine Sorge, kleiner Singvogel, ich werde einen angemesseneren Behälter finden«, sagte sie und lachte, als der junge Eunuch erleichtert seufzte. »Und wir werden einen guten Teil des Honigs für uns selbst behalten; das wird unser Geheimnis sein, ja?« fügte sie mit einem verschwörerischen Zwinkern hinzu.
Lachen begrüßte diese »Intrige« gegen den Kaiser.
Xiane wird sehr erfreut sein, dachte sie. Er war auf Honig und andere Süßigkeiten so versessen wie ein Kind. Jedesmal, wenn er etwas von diesem Honig aß, würde er an sie denken. Und genau das wollte sie – daß Xiane sie nie vergaß.
Und sie durfte Zyuzins Familie und ihre Bienen nicht vergessen.
9. KAPITEL
Hodai stand im Schatten und sah den rezitierenden Priestern zu. Hier, in diesem kleinen Flur, der zur Privatloge des Nira führte, konnte das junge Orakel dem Gesang lauschen, ohne selbst gesehen zu werden. Die Stimmen des Chors erhoben sich wie Vögel aus Wolken von Räucherwerk, während sie dem Phönix huldigten. Viermal am Tag stärkte der große Chorus die Macht: In der Morgendämmerung, zu Mittag, bei Sonnenuntergang und zu Mitternacht, wenn die Macht des Sonnenphönix am geringsten war. Viermal am Tag, wann immer er konnte, kam Hodai hierher, mit seinem Herrn, dem Nira, oder ohne ihn – in letzter Zeit überwiegend ohne ihn; Pah-ko war zu krank und müde –, und jedesmal lauschte er mit seinem ganzen Herzen.
Der Gedanke an seinen Herrn, der den Schmerz der Gefangennahme des großen Ungeheuers erlitt, verfinsterte Hodais Stimmung einen Augenblick lang. Dann erinnerte er sich daran, wo er war und besonders an die Tageszeit.
Sonnenaufgang. Die Wiederkehr des Sonnenphönix.
Die Zeremonie im Morgengrauen war die beste von allen. Es schien, als wären die
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