Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
Tage später, am Nachmittag, erreichten sie das Mehanso. Maurynna lehnte sich im Sattel zurück. Sie nahm an, daß die Entfernung von ihrem ersten Lager zu Shimas Dorf nicht allzugroß war, aber die umständliche Route, die sie genommen hatten, hatte viele Meilen hinzugefügt.
Shima hatte sich dafür entschuldigt. »Wir fürchten eine Invasion durch die Armee aus Jehanglan, daher gibt es keine direkten Wege zu meinem Mehanso«, sagte er. Dann fügte er mit einem ironischen Lächeln hinzu: »Nicht, daß es in diesem Land überhaupt direkte Wege gibt. Das hier ist kein einfaches Land.«
Am Ende des Ritts erinnerte Maurynna sich an diese Worte. Sie dachte an die karge Schönheit des Landes, an die Berge, die sich abrupt aus der Wüste erhoben, um hoch vor dem türkisfarbenen Himmel aufzuragen, der sich in alle Ewigkeit zu erstrecken schien, die zähen, nadelbesetzten Büsche, graugrün vor dem roten Felsen mit Sand. Es war ein junges Land, stolz, zornig, die Kanten noch nicht von Wind und Regen abgeschliffen. Selbst die Berge rings um die Drachenfestung, so hoch sie waren, waren nicht so wild wie diese hier.
Nein, kein einfaches Land. Aber eines, in dem vielleicht die Götter einhergingen.
Und nun waren sie in Shimas Heimatdorf. Sie nahm zumindest an, Mehanso bedeutete Dorf. Mit wachsendem Staunen sah sie, wie sehr sie sich geirrt hatte, als sie das »Dorf« betrat. Denn Reihe um Reihe von Ziegelhäusern säumten die Felswände, die meisten in Höhlen zurückgesetzt, wie Kerben im Stein, vielleicht zwanzig Fuß tief oder mehr, und zu beiden Seiten des Tals. Der Anzahl der Häuser nach zu schließen, lebten hier genug Menschen für eine mittelgroße Stadt in den Fünf Königreichen.
Dennoch kamen erstaunlich wenige von ihnen aus ihren Häusern, um die Fremden anzuschauen. Vielleicht, dachte Maurynna, waren sie mit anderen Dingen beschäftigt. Aber es sollte doch sicher mehr Kinder geben? Die Kleinen wußten immer sofort, wenn etwas geschah.
»Leben hier nicht mehr Menschen?« fragte sie, als Boreal Shimas kleiner Pirii über den festgestampften Weg zwischen den Klippen entlang folgte. Sturmwind war direkt hinter ihm, und Trissin und Jhem folgten Sturmwind. Ihr Ziel schien ein langgezogener, ovaler Hof zu sein, umgeben von niedrigen Mauern und Öffnungen an den schmalen Enden.
Shima zeigte auf die Ziegelhäuser zu beiden Seiten. »Das Tal kann nicht alle ernähren, die hier leben könnten, wenn sie die ganze Zeit hier wären; viele dieser Häuser stehen den größten Teil des Jahres über leer. Ihre Besitzer sind mit den Herden unterwegs.« Er zügelte sein Pferd in dem ovalen Hof. »Oder sie arbeiten auf den Feldern im ganzen Land. Nur ein paar Bauern, die die nahe gelegenen Felder bebauen, und viele Handwerker wohnen das ganze Jahr über hier. Der Rest von uns kommt nur zu den vier großen Festen her. Dann ist das Mehanso eher überfüllt.«
Und nun kamen die ersten der Talbewohner ihnen entgegen: die Kinder voran, wie es offenbar überall auf der Welt war, wenn es etwas Neues zu sehen gibt. Sie tänzelten rund um die Pferde, riefen Grüße (wie Maurynna den freundlichen Gesichtern entnahm) und stellten Fragen, die Shima lachend beantwortete. Der Tah’nehsieh sprang von seinem Pferd. Die Kinder umdrängten ihn.
Ein paar lösten sich aus der Gruppe, um die Fremden anzustarren. Maurynna ließ die Zügel auf Boreais Hals fallen und wappnete sich für das Absteigen. Würde sie sich nie daran gewöhnen, den ganzen Tag zu reiten? Um den gefürchteten Augenblick noch ein wenig herauszuschieben, betrachtete sie die Kinder, die sich rund um die Llysanyaner versammelten.
Ihre Haut war ein wenig dunkler als die von Shima, und ihr Haar hatte das bläuliche Schwarz, das Maurynna in ganz Jehanglan gesehen hatte. Alle, ganz gleich, ob es Mädchen oder Jungen waren, trugen nur ein kurzes, kiltartiges Kleidungsstück. Ihre leisen Stimmen klangen wie die winziger Vögel, als sie aufeinander einflüsterten und ihre Aufmerksamkeit zwischen Menschen und Pferden teilten. Sie kicherten hinter vorgehaltenen Fingern, als sie Maurynna auf Jehangli begrüßte.
Maurynnas Lächeln wurde ein wenig starr, als ihr klarwurde, daß sie das Absteigen nicht mehr länger hinauszögern konnte. Nicht, wenn sie nicht auf Boreais Rücken essen und schlafen wollte.
Zu ihrer Überraschung war es diesmal leichter. Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung für mich, dachte sie, als sie sich langsam auf den Boden hinunterließ.
Shima wollte ihr
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