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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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im Auto«, sagte sie, als sie mich erreichte. »Mhm.«
    »Da ist mein Ast.« Sie zeigte auf den Baum.
    Wieder platschte es in der Bucht.
    »Und das war der alte Hecht.«
    »Es ist genau wie im Sommer«, sagte ich.
    »Nein«, sagte sie, »so wird es nie wieder.«
    »An dem Abend haben wir übers Angeln geredet«, sagte ich. »Über den alten Hecht.«
    »Du wolltest mir eine Rute schnitzen.«
    »Dazu ist es nicht zu spät.«
    »Das machen wir woanders«, sagte sie.
    Ich nickte. Jetzt wollten wir den See sich selbst überlassen, für immer.
    Aber es gab noch ein Letztes, was wir tun mussten. Deswegen waren wir hergekommen. Zwischen den Bäumen war es dunkel, hier war es schon Abend. Aber Licht brauchten wir nicht, ich würde den Weg auch im Stockfinstern finden, mit verbundenen Augen. Dies waren meine Pfade, und ich spürte, dass es immer noch mein Wald war. Den Wald hatten sie uns nicht wegnehmen können.
    Aber die Erwachsenen hatten versucht, unser Schloss zu zerstören, unser Samuraischloss, an dem wir den ganzen Sommer gebaut hatten.
    Kerstin und ich standen vor dem Wallgraben.
    »Seit dem letzten Mal ist hier niemand mehr gewesen«, sagte Kerstin.
    »Nein.«
    Ich erinnerte mich an den letzten Abend. Nicht lange vor dem großen alles entscheidenden Kampf waren wir hier gewesen und hatten die Zerstörung gesehen. Die Mauer war in der Mitte eingerissen, und zwei der Türme waren umgestürzt worden. So war es immer noch.
    »Die Polizei, die Feuerwehr, niemand hat etwas vom Schloss erfahren«, sagte ich. »Wir haben alle dichtgehalten.«
    »Vielleicht findet niemand mehr her«, sagte Kerstin.
    »Vielleicht nie mehr«, sagte ich. »Wir sind die Einzigen, die davon wissen.«
    »Dann wird das Schloss bis in alle Ewigkeit eine Ruine bleiben«, sagte Kerstin.
    »Das ist doch der Sinn von Ruinen«, sagte ich. »Sie sind Ruinen, weil sie seit Ewigkeiten stehen.«
    »Einen ganzen halben Herbst«, sagte Kerstin. »Aber wir können ja wiederkommen und es neu aufbauen.«
    »Nein«, sagte ich, »wir bauen ein anderes.«
    »Wo?«
    »Vielleicht in Japan.«
    »Darf man das denn?«
    »Früher durften sie das doch auch. In Japan gibt es mehr Schlösser als irgendwo sonst auf der Welt.«
    »Ist das wahr?«
    »Ich glaube ja.«
    Auf einem Baum hoch über uns schrie ein Vogel. Dann hörten wir das Flattern seiner Flügel, und dann wieder den Schrei. Ich schaute hinauf, der Himmel war dunkel geworden. Den Vogel konnte ich nicht entdecken. Er schrie noch einmal.
    »Wir müssen gehen«, sagte Kerstin. »Krister wartet.«
    »Traust du ihm?«, fragte ich. »Wie meinst du das?«
    »Vielleicht ist er gar nicht so nett, wie er tut.«
    »Ich weiß nicht, ob er nett tut.«
    »Du verstehst, was ich meine, Kerstin.«
    »Ich glaube nicht, dass er uns was Böses will.«
    Ich schwieg.
    »Oder uns zur Polizei bringen will«, sagte Kerstin, »oder zum Jugendamt.«
    Wieder ertönte der Schrei. Er klang wie eine Warnung, aber ich wusste nicht, wem sie galt. Vielleicht ging sie uns nichts an.
    Uns wird nichts passieren, dachte ich.
    Aber sicher war ich mir nicht. Ich konnte mich auch täuschen.
    »Was meinst du, sollen wir lieber abhauen?«, fragte ich. »Vor Krister abhauen, meinst du?«
    »Ja.«
    »Und wohin?«
    »Tja … tiefer in den Wald. Wir können später hierher zurückkommen.«
    »Zum Schloss.«
    Ich nickte, aber ich wusste nicht, ob sie es sah. Ihr Gesicht konnte ich kaum mehr erkennen in der Dunkelheit.
    »Das ist kein Schloss mehr«, sagte sie. »Jetzt ist es eine Ruine.«
    »Was machen wir also?«
    »Ich weiß es nicht, Kenny. Ich bin müde.«
    Ich war auch müde. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass es überhaupt keine gute Idee gewesen war, abzuhauen, zu fliehen. Vielleicht war es noch nie eine gute Idee gewesen. Aber was war uns anderes übriggeblieben?
    »Wir können aufgeben«, sagte ich, »und uns selbst anzeigen.«
    Sie schwieg.
    »Jedenfalls können wir die erste Nacht zu Hause schlafen.«
    Aber das stimmte nicht. Ich könnte nicht zu Hause schlafen, und ich glaubte, auch Kerstin könnte es nicht.
    »Sollen wir Krister bitten, uns zur Polizei zu fahren?«
    »Ich möchte die Nacht nicht in einer Zelle verbringen«, sagte Kerstin.
    »Bleibt nur der Amerikaner«, sagte ich.
    Jetzt konnte ich Kerstins Gesicht erkennen. Auf der Lichtung schien es etwas heller geworden zu sein. Kerstin sah aus, als würde sie schon schlafen.
    »Der Amerikaner ist bequemer als die Zelle«, sagte ich.
    Ich hörte ein Grollen wie von einem weit entfernten

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