Drachenmonat
ja mal einen Ausflug in die Richtung machen«, hatte er gesagt. »Mit dem Auto ist es nicht weit, aber wenn ihr zu Fuß geht, braucht ihr eine Woche. Ich rate euch ab vom Trampen. In dieser Gegend weiß man nicht, was für Idioten hinterm Steuer sitzen.«
Durch das offene Fenster blies mir Wind ins Gesicht. Er war gleichzeitig warm und kalt, und die Sonne schien mir in die Augen. Wenn es im Oktober so warm war wie im Sommer, nannte man es Altweibersommer, ich wusste nicht, warum. Vielleicht stand das in Kristers Nachschlagewerken.
Plötzlich wollte ich sie sehen. Ich schaute Kerstin an. Sie guckte geradeaus. Ihre Haare flatterten im Wind, als säße sie in einem Boot. Jetzt sah sie nicht mehr so ängstlich aus, aber plötzlich bekam ich es mit der Angst zu tun. Kristers Augen im Rückspiegel wirkten irgendwie unheimlich, weil man nicht von ihnen ablesen konnte, was er dachte.
Mir ging durch den Kopf, wie schnell alles gegangen war. Wir waren abgehauen, im Cafe gelandet, und nun saßen wir hier, in einem großen Amerikaner. Der Wald stürmte nur so vorbei, als wäre er auf dem Weg in die andere Richtung.
»Ich möchte die Bücher sehen«, sagte ich.
Krister sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Was hast du gesagt?«
»Ich möchte die Nachschlagewerke sehen. Jetzt.«
Kerstin warf mir einen Blick zu.
»Musst du auf der Stelle etwas herausfinden, Junge?«
»Ja.«
»Frag doch erst mal mich. Ich habe sie von einem Umschlagdeckel bis zum anderen gelesen.«
Das glaubte ich nicht, und ich wusste, dass Krister wusste, dass ich es nicht glaubte.
»Ich will sie sehen«, wiederholte ich.
Jetzt schaute Kerstin wieder besorgt drein. Sie hatte verstanden.
»Okay, okay. Da vom ist ein Parkplatz.« Krister hielt an. Das Auto schwankte wie ein Schiff, als er bremste.
»Ihr braucht nicht sitzen zu bleiben«, sagte er und stieg aus. »Die Türen sind nicht abgeschlossen.«
Kerstin und ich folgten ihm zum Kofferraum.
»Bitte sehr.« Er öffnete den Deckel.
Wir traten näher und guckten hinein.
Im Kofferraum, der fast genauso groß wirkte wie der Fahrgastraum, lagen mehrere Stapel dicker Bücher. Sie waren grau, hatten einen rostig roten Rücken und sahen aus, als lägen sie dort schon seit Jahren, ohne berührt worden zu sein.
»Ich hätte lieber nichts von den Idioten hinterm Steuer sagen sollen.« Krister lächelte. »Ich verstehe, dass du Angst bekommen hast, Junge. Übrigens bin ich vielleicht ein Idiot, aber ich bin nicht gefährlich. Ich schwöre.« Er zeigte auf die Bücher. »Was möchtest du wissen?«
»Äh … Altweibersommer. Ich hab überlegt, was Altweibersommer bedeutet.«
»Dann wollen wir doch mal nachsehen.« Krister nahm ein Buch heraus und musterte den Rücken. »Falscher Buchstabe.« Er legte es zurück, nahm ein anderes und blätterte. »Da haben wir es.«
Er hielt mir das aufgeschlagene Buch hin.
»Periode mit warmen und klaren Herbsttagen«, sagte er.
Ich las nach, was er gerade gesagt hatte.
»Aber da steht nicht, woher der Name kommt.«
»Kein Wunder, dass niemand die Bücher kaufen will«, sagte Krister.
»Das macht nichts«, sagte ich. Ich kam mir albern vor. Er war kein gefährlicher Idiot. Es war unnötig gewesen, anzuhalten.
»Steht da was über Samurais?«, fragte Kerstin.
»Hoffen kann man ja mal.« Krister beugte sich über den Kofferraum und nahm ein anderes Buch heraus.
»Samuelsson … Samuelsson … Samuelsson … Samum … Samurai! Mitglied eines niederen Kriegeradels während der japanischen Feudalzeit.«
Er sah Kerstin an.
»Trifft das auf dich zu?«
»Ja.«
Dann las er weiter vor: »Samuraischwert. Lang, gebogen, einschneidiges japanisches Schlagschwert.«
»Stimmt das, Kenny?«
Er erinnerte sich an meinen Namen. Ich glaubte nicht, dass er wusste, woher der Name kam, trotzdem war es ein unheimliches Gefühl, dass er ihn in diesem Moment genannt hatte, schließlich bedeutete Ken ja Schwert.
»Ungefähr«, sagte ich.
Krister musterte mein Schwert.
»Katana«, sagte ich, »es heißt Katana.«
»Steht hier nicht.« Krister hielt das Buch hoch, als wollte er es wegwerfen. »Ich werde den Leuten im Verlag mal einen geharnischten Brief schreiben. Die müssen sich aber ordentlich anstrengen, wenn ich ihre Bücher weiter verkaufen soll.«
Er schaute zu den Tannenwipfeln auf der anderen Seite des Moores, das sich zu beiden Seiten der Straße erstreckte. Es sah aus, als parkten wir mitten in einem braunen See, und die Straße, die erst kürzlich asphaltiert
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