Drachenmonat
Polizisten schwiegen.
»Schließlich war es ja nicht gerade ein Geheimnis«, sagte Krister.
»Und da wollten Sie sich die Verwüstung mal angucken?«
»Woher wissen Sie, dass ich dort war?«
»Was glauben Sie?«
»Die Karre.« Krister wies mit dem Kopf auf den Amerikaner.
»Genau, die ist ja nicht zu übersehen«, sagte der Polizist. »Selbst ein blinder Bauer würde sie bemerken.«
»Dann hatte ich also keine Möglichkeit, etwas zu verbergen, oder? Wie zum Beispiel, dass ich zum See und zum Camp gefahren bin.«
»Warum sind Sie hingefahren? Wir werden nun mal misstrauisch, wenn Fremde herkommen und als Erstes die Brandstelle besuchen.«
»Ich hatte private Gründe«, sagte Krister, und ich zuckte so zusammen, dass ich fast umgefallen wäre. Würde er uns jetzt doch verraten?
»Ich hatte eigene starke Gründe, hinzufahren und die Reste von diesem Gefängnis anzuschauen«, fuhr Krister fort. »Ich konnte einfach nicht glauben, dass wirklich alles abgebrannt ist. Davon wollte ich mich selber überzeugen.«
»Gefängnis? Warum nennen Sie es so?«
»Weil ich dort Gefangener war, als Kind.«
10
Kerstin stand an derselben Stelle, wo ich sie verlassen hatte. Als ich zurücklief, glaubte ich, dass sie schon in den Park gegangen war. Aber sie wartete in dem Hauseingang wie ein Schatten.
»Kenny! Eben ist das Polizeiauto vorbeigefahren!«
»Ja, ich hab sie auch wegfahren sehen.«
»Von wo?«
»Vom Parkplatz. Krister war auch da.«
»Krister? Dann hat er es der Polizei also doch erzählt?«
»Nein, nein, es ging um was anderes. Jemand hat ihn zum Camp fahren sehen. Zum See.«
»Hat der uns auch gesehen?«
»Das glaub ich nicht. Von uns haben die Polizisten nichts gesagt.«
»Konntest du sie verstehen?«
»Jedes Wort. Auf dem Parkplatz. Kurz nach ihnen ist Krister angekommen. Hast du ihn nicht gesehen?«
»Nein.«
»Die Polizisten haben ihn ausgefragt.«
»Nach uns?«
»Nein, aber nach einem anderen.«
»Ich versteh kein Wort.«
»Das ist jetzt egal. Aber stell dir vor, Krister hat ihnen erzählt, dass er als Kind in dem Ferienlager gewesen ist.«
Kerstin schwieg.
»Hast du mich verstanden?«
»Ich hab’s mir schon fast gedacht«, antwortete sie nach einer Weile. »Als wir dort waren … er hat mit so einem besonderen Blick auf den See und die Bäume geschaut und … auf das, was noch übrig war.« Sie sah mich an. »Als ob er früher schon mal dort gewesen wäre. Aber uns hat er es nicht erzählt. Warum nicht?«
»Das müssen wir ihn fragen.«
»Wo ist er jetzt?«
»Im Hotel, nehme ich an. Die Polizei hat ihn hingebracht.«
»Meinst du, die kommen zurück?«
»Die Polizei? Das glaub ich nicht. Wenn sie Verdacht geschöpft hätten, hätten sie Krister gefragt.«
»Lass uns zurück zum Auto gehen.«
Im Auto war es etwas wärmer als draußen. Mir war ordentlich kalt geworden, vielleicht, weil ich so lange regungslos dagestanden hatte, während ich Krister und die Polizisten belauscht hatte.
Kerstin gähnte. Ihr Gesicht war weiß, und unter den Augen hatte sie dunkle Ringe. Wahrscheinlich sah ich genauso aus. Ich hatte die Stunden nicht gezählt, wie lange wir schon wach waren, aber es musste ein Rekord sein.
Vielleicht war es dumm, zum Auto zurückzukehren. Aber wir konnten ja nicht in dem Hauseingang schlafen. Und schlafen mussten wir. Aus unserer Reise würde nichts werden, wenn wir nicht schliefen. In Gedanken nannte ich unseren Plan Reise, nicht Flucht. Wir waren auf Reisen, was bedeutete, dass wir zu einem Ziel unterwegs waren. Wer abhaute, ging bloß von etwas weg.
»Gute Nacht«, sagte Kerstin vom Rücksitz, und das war das Letzte, was ich hörte, bevor ich einschlief.
Ich wurde wach, weil mir jemand mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete. Ich versuchte mich wegzudrehen, aber das grelle Licht war überall, wohin ich den Kopf auch drehte. Schließlich hatten sie uns doch noch gefunden. Ich hörte jemanden gegen die Scheibe klopfen.
Ich schlug die Augen auf, und die Sonne schien mir geradewegs ins Gesicht.
Ich sah Kristers Gesicht.
Er hatte an die Scheibe geklopft.
Mühsam richtete ich mich auf und zog an dem Türöffner. Die Tür öffnete sich.
»Ich wollte nicht sofort aufschließen«, sagte Krister. »Dann hätte ich euch womöglich noch mehr erschreckt.«
Kerstins Gesicht tauchte hinter der Rückenlehne auf. Jetzt war sie nicht mehr so blass. Das kam vielleicht von der Sonne.
»Und ich wusste ja auch nicht, ob ihr noch da seid«, fuhr Krister
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