Drachenritter 03 - Der Drache an der Grenze
über die nötige Charakterstärke verfügte, die für eine solch verantwortungsvolle Position unabdingbar war. Gleichwohl hätte sie den Kastellan-Gürtel nicht getragen, wenn sie nicht fähig gewesen wäre, den damit einhergehenden Aufgaben auch gerecht zu werden.
»Was ist denn nun, Giles«, sagte sie, »willst du mich nicht auffordern, Platz zu nehmen?«
»Oh - gewiß doch. Ja, natürlich«, knurrte Giles, »aber eigentlich hatte ich gedacht, du würdest früher kommen.«
»Du vergißt, daß ich gewisse Pflichten habe.« Liseth nahm neben Jim Platz und sah zu ihm auf. »Seit Ostern bin ich auf Geheiß unseres Vaters Kastellanin; und wann immer ich mich innerhalb der Burgmauern aufhalte, lassen mir meine Pflichten kaum Ruhe. Ständig wird in der Küche, im Waschhaus oder sonstwo nach mir verlangt. Deshalb bin ich froh, wenn ich auf meiner Stute einmal eine Weile ausreiten kann. Aber jetzt bin ich da... Sir James, es ist mir wirklich eine große Ehre, Eure Bekanntschaft zu machen! Ich hätte mir niemals träumen lassen, einmal jemanden kennenzulernen, der wie König Artus tatsächlich einen Oger getötet hat. Das können nur wenige von sich sagen.«
»Nun, ja...«, brummte Jim.
Die Situation war nicht ohne Peinlichkeit. Ihre Bemerkung verlangte nach einer bescheidenen Entgegnung; andererseits hatte er sich mit dem Oger in Gorbashs Drachenkörper vier bis fünf Stunden lang einen mörderischen Zweikampf geliefert, der seine Drachenkräfte aufs äußerste strapaziert hatte. Man hätte es ihm kaum abgenommen, wenn er so getan hätte, als sei das eine Kleinigkeit gewesen.
Liseth legte ihm die Hand auf den Unterarm.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Wenn Euch die Erinnerung schmerzt, hätte ich besser gar nicht erst davon anfangen sollen.«
»Die Erinnerung schmerzt mich keineswegs«, entgegnete Jim. »Um ehrlich zu sein, denke ich sogar mit einigem Stolz daran zurück. Viel dazu sagen kann ich allerdings nicht - außer daß es ein schwerer Kampf war.«
»Das glaube ich Euch gern«, sagte sie. »Und Ihr habt Euch in der Burg des Magiers in einen Drachen verwandelt, um Eure Freunde zu retten?«
»Ja, schon. Das habe ich getan«, antwortete Jim, »aber ich kann mich nicht erinnern, daß dies gestern bei Eurem Vater und Euren Brüdern zur Sprache gekommen wäre...«
»Oh, ich habe Giles Löcher in den Bauch gefragt!« Sie lächelte durchtrieben und strahlte auf einmal über das ganze Gesicht. »Er hat mir sogar von der Fee aus dem See erzählt, die sich in Euch verliebte und Euch meilenweit bis auf das Schlachtfeld folgte, wo Franzosen und Engländer aufeinandertrafen. Das hat Euch bestimmt in eine schwierige Lage gebracht.«
»Nun, daß sie mir gefolgt ist, war weniger tragisch; die eigentliche Schwierigkeit bestand darin, mich von ihr zu befreien, als sie mich am Grund des Sees festhielt. Sie hatte mich davon überzeugt, daß ich keine Luft mehr bekäme, wenn ich nicht bei ihr bliebe. Allerdings fiel mir ein Zauber ein, mit dem ich mich befreien konnte. Also war es am Ende doch gar nicht so schlimm.«
»Stellt Euch nur einmal vor, wie schwer es für Eure Frau gewesen wäre«, sagte Liseth, »wenn Ihr fortan in diesem See eingesperrt gewesen wärt. Von Euren Gefährten, die Euch brauchten, um den Prinzen zu befreien, ganz zu schweigen.«
»Dann hat Giles Euch also von Angie erzählt?« fragte Jim.
»O ja«, antwortete sie mit einem Lächeln. »Auch nach ihr habe ich mich erkundigt.«
Über seine Gefangenschaft bei dem Elementargeist Melusine war er nie ganz hinweggekommen, so schön diese auch gewesen war; Angie hatte ihm nämlich nicht geglaubt, daß zwischen ihm und Melusine nichts gewesen war. Doch darüber wollte er jetzt nicht sprechen.
»Ich glaube«, fügte er hinzu, »Sir Brian und Dafydd hätten den Prinzen auch ohne meine Hilfe befreit.«
»Das glaube ich gern.« Sie nahm die Hand von Jims Arm und wandte sich an Brian, der ein Stück weiter an der gleichen Tischseite saß. »Eure Frau muß sich ebenfalls Sorgen um Euch gemacht haben, Sir Brian«, sagte sie, »auch wenn sie mittlerweile wohl wissen dürfte, daß ein Paladin wie Ihr auf sich selbst aufpassen kann.«
»Paladin, Unsinn!« Brian legte den Knochen von Jims Teller weg, den er geistesabwesend benagt hatte, und spülte das, was er im Mund hatte, mit einem Schluck Wein hinunter. »Die ganze Ehre gebührt James und Dafydd. Und was meine Gemahlin betrifft, so habe ich keine - jedenfalls noch nicht. Ich bin meiner Liebsten versprochen, der
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