Drachenritter 06 - Der Drache und der Dschinn
hatte auf einmal den Eindruck, der kleine Mongole bedauere es, sie nicht rechtzeitig getötet zu haben, bevor sie in eine Lage geraten waren, in der man ihnen das Geheimnis ihrer Flucht aus dem Weißen Palast wenn nötig mittels Folter entreißen würde. Der Mongole hatte sie wohl nur deshalb so lange am Leben gelassen, weil er sich ihr Wissen um den geheimen Ausgang aus dem Weißen Palast hatte zunutze machen wollen. Jetzt aber tat es ihm leid.
Jim wandte sich wieder Ibn-Tariq zu, stellte jedoch fest, daß dieser gerade von einem Bediensteten in Anspruch genommen wurde, der ihm etwas ins Ohr flüsterte. In diesem Moment hörte der Bedienstete auf zu flüstern und nahm an der Wand Aufstellung, worauf Ibn-Tariq sich lächelnd wieder an Jim wandte.
»Wie ich soeben erfahren habe«, sagte er, »ist Murad vom Schweren Säckel nun bereit, Euch zu empfangen. Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, mit mir zu kommen?«
Ein Geräusch war zu vernehmen - kein lautes Geräusch, sondern das Scharren von Füßen und das leise Klirren von Metall, und als Jim, Brian und Baiju sich umdrehten, erblickten sie mindestens ein Dutzend in den Farben des Hauses gekleidete Soldaten, die mit Speeren und Schwertern bewaffnet waren und durch denselben Eingang hereingekommen waren, den eben noch Jim und Brian benutzt hatten.
»Vielleicht können wir jetzt gehen«, sagte Ibn-Tariq mit sanfter Stimme.
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Sie wurden höflich, aber mit Entschiedenheit abgeführt. Die Hälfte der Bewaffneten ging vor ihnen, die andere Hälfte hinter ihnen, und ihre Eskorte beanspruchte die ganze Breite des Korridors für sich.
Schließlich gelangten sie durch einen breiten Durchgang in einen großen Raum mit einer hohen, gewölbten Decke, an dessen gegenüberliegendem Ende unter einem Baldachin ein unglaublich dicker Mann saß, vor sich Tabletts, Tassen und Becher.
Beim Näherkommen stellte Jim fest, daß der Mann nicht nur groß, sondern geradezu riesig war. Sein Gesicht verschwand fast zur Gänze unter einem erstaunlich buschigen, flaumigen weißen Bart, der unmittelbar unter den Brauen ansetzte und das Kinn, den Hals und die sichtbaren Gesichtszüge unter einem Haarwust verbarg.
Er trug einen Turban und ein weites, fließendes Gewand aus purpurroter Seide, das ihn noch größer erscheinen ließ. Jim schätzte, daß mindestens vier Bedienstete nötig waren, um ihm auf die Beine zu helfen.
In diesem Moment flüsterte ihm Brian zu seiner Verblüffung mit rauher Stimme ins Ohr.
»Ist das der Kerl mit dem schweren Säckel?« murmelte Brian. »Irgend etwas stimmt da nicht, James. Es kommt mir so vor, als hätte ich ihn irgendwo schon mal gesehen.«
Wo? hätte Jim gern gefragt, doch sie waren dem fülligen Hausherrn bereits zu nahe gekommen, um ihre gedämpfte Unterhaltung fortzuführen.
»Seid willkommen!« sagte der gewaltige Mann mit tiefer Stimme. »Bitte nehmt doch Platz.«
Bedienstete eilten mit Kissen, Tabletts und Gestellen herbei. Jim und Brian setzten sie Humpen vor, in die sie eine rote Flüssigkeit einschenkten, bei der es sich offenbar um Wein handelte.
»O Murad vom Schweren Säckel«, bemerkte Ibn-Tariq, »dies sind die Männer, von denen ich Euch erzählt habe: Baiju der Mongole, Sir James und Sir Brian - die erlauchten Franken.«
»Sie sind mir willkommen, sehr willkommen!« sagte Murad. »Stimmt es, liebe Gäste, daß es Euch als Ungläubigen freisteht, Alkohol zu trinken?«
Jim bemerkte auf einmal, daß Baiju ebenfalls einen Deckelkrug bekommen hatte. Nicht nur das, er trank bereits daraus, als wollte er ihn in einem Zug leeren. Ibn-Tariq schwieg, daher nahm Jim an, daß es an ihm oder Brian lag zu antworten.
»So ist es, Murad vom Schweren Säckel«, sagte er. »Wir danken Euch für den Wein, den wir uns gerne munden lassen.«
»Ich möchte, daß sich meine Gäste wohl fühlen und daß es ihnen an keinerlei Annehmlichkeiten mangelt«, sagte Murad. »Ich schätze meine gewohnten Speisen und Getränke - und auch meine Gäste sollen auf ihre gewohnten Genüsse nicht verzichten. Wie Allah es gewollt hat, gebe ich allen Hungrigen Nahrung, die an meine Tür kommen, und das Wohlergehen meiner Gäste liegt mir besonders am Herzen.«
»Das ist allgemein bekannt, o Murad vom Schweren Säckel«, sagte Ibn-Tariq, während Jim noch nach einer passenden Entgegnung suchte.
»Schon gut«, meinte Murad. »Wie ich höre, sucht Ihr nach einem fränkischen Sklaven, und mein guter Freund Ibn-Tariq hilft Euch bei der Suche. Wie sieht der Mann
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