Drachenritter 07 - Der Drache und der Wuzelkönig
wartete. Er horchte. Aber nichts geschah. Das Klingelnde Wasser der Quelle, von dem die Lichtung ihren Namen hatte, sprudelte weiter. Jim preßte ein Ohr gegen die Tür und lauschte
angestrengt.
Zuerst hörte er nichts. Dann hatte er eine Eingebung.
Er stellte sich vor, das scharfe Gehör eines Vogels zu besitzen, der hören konnte, wie ein Insekt durchs Gras krabbelte. Dann lauschte er wieder.
Dieses Mal hörte er etwas – eine Art Pfeifen oder Singen, wie ein Kessel auf dem Feuer, kurz bevor das Wasser siedete.
Natürlich, sagte er sich, das würde Carolinus' Kessel sein, dem er magisch befohlen hatte, immer kurz vorm Sieden zu bleiben, so daß er sich jederzeit ohne zu warten eine heiße Tasse Tee nehmen konnte. Das war derselbe Kessel, der sich seinen Boden fast durchgewetzt hatte, als er den ganzen Weg nach Malencontri glitt, um mitzuteilen, daß sein Herr und Meister Hilfe brauchte.
Die Leute in der Gegend glaubten, daß der Kessel, wie auch die anderen Utensilien und Apparaturen in Carolinus' Hütte, ein Eigenleben besaßen. Der Kessel hatte dies sicherlich bewiesen – obgleich er in seinen Handlungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt war. Jim hatte jetzt eine Idee. Er versuchte, mit dem Kessel zu sprechen.
»Kessel!« schrie er durch die Tür. »Hier ist Jim Eckert. Carolinus' Schutz läßt mich nicht rein, aber ich muß mit dir reden. Gibt es irgendeine Möglichkeit für mich reinzukommen? Oder kannst du rauskommen?«
Er preßte sein Ohr in der Hoffnung auf eine Antwort wieder gegen die Tür.
Und tatsächlich, plötzlich ging das Pfeifen des Kessels in einen verständlichen Singsang über.
»Jim! Carolinus sagt, komm rein, Wenn etwas dir bereitet Pein. Klopfe zweimal, dann nochmal sofort. Und sage einfach das magische Wort.«
Jim nahm den Kopf von der Tür und dachte nach. Magisches Wort. Welches magische Wort? Das war typisch für Carolinus, aus etwas Einfachem eine Lektion in Magie zu machen. Noch nie hatte jemand was von magischen Worten erzählt.
Jim atmete tief durch, bevor er noch richtig ärgerlich wurde. Ein Wutausbruch würde nichts ändern. Das war ein Rätsel. Sicher hatte Carolinus angenommen, daß Jim es würde lösen können, aber niemand anders. Das hieße…
Natürlich. Das magische Wort mußte eins sein, das keine Person aus dem vierzehnten Jahrhundert kannte. Jim dachte nach und wollte schon wieder wütend werden, doch da fiel ihm plötzlich etwas ein. O nein, sagte er sich aber, Carolinus würde nicht so etwas Banales, Lächerliches wählen… oder doch?
Jim atmete tief ein, klopfte und sprach die Tür an.
»Sesam, öffne dich!«
Die Tür schwang auf, und Jim trat ein. Hinter ihm schloß
sich die Tür wieder, und im schummrigen Licht sah er den Kessel am Haken hängen und hörte, wie er zu ihm sang. Jetzt klang der Gesang so ähnlich wie ein Chor.
»Willkommen, guter Jim Eckert! Willkommen…«
Der Kessel sang weiter, bis Jim zu sprechen anhob.
»Ich bin auch froh, dich zu sehen, guter Kessel«, antwortete er. »Ich nehme nicht an, daß du weißt, wo Carolinus ist?«
Der Kessel schaukelte ein wenig über dem Feuer und gab einen langen, leisen Pfiff ab, der zitternd auf einer traurigen,
fallenden Note endete.
»Du weißt es also nicht?«
Der Kessel pfiff kurz und schrill.
Jim nickte.
»Ich verstehe. Nun, du weißt nicht, wo er ist, und ich auch nicht, und zu raten hat keinen Zweck. Aber ich vermute, daß er, wo auch immer er ist, vielleicht einmal eine Tasse Tee möchte. Die Art von Tee, die er mag, ist genau die Art, die du ihm hier in seiner Hütte machst. Vielleicht kommt er also auf eine Tasse Tee kurz zurück oder er greift magisch nach dir, daß du ihm dort, wo er sich gerade aufhält, eine bereiten sollst – oder irgendwas in der Art. Wie dem auch sei, ich dachte mir, daß ich dir vielleicht einen kleinen Reim aufsagen könnte, den du ihm dann vorsingen würdest. Tätest du das für mich?«
Wieder pfiff der Kessel kurz und scharf seine Bestätigung.
»Schön«, sagte Jim. »Gib mir nur eine Minute. Ich muß mir einen Reim ausdenken…«
Das gelang ihm schließlich. Er war nicht gut in Lyrik, und auch Musik war nicht gerade seine starke Seite. Glücklicherweise kannte er die Melodie, zu der der Kessel alles sang, so daß er sie nur noch mit Worten unterlegen mußte. Nach einigem scharfen Nachdenken kam er schließlich auf:
»Angie spricht, Robert ist gestohlen. Unsere Trauer sei nicht verhohlen. Ratet uns, Carolinus!«
In seinen Ohren hörte sich das
Weitere Kostenlose Bücher