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Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat

Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat

Titel: Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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hatte das Gefühl, in Lidjas Wortschwall unterzugehen. Wenn sie so die Geduld verlor, machte ihr die Freundin fast Angst. »Okay, okay …«
    Sie ging wieder zu dem Stuhl, über dem das Kleid hing, und zog es an, wobei sie es vermied, in den Spiegel zu schauen. Und als sie sich umdrehte, sah sie, dass Lidja sie mit kritischem Blick betrachtete.
    »Würdest du dich im Spiegel anschauen, könntest du sehen, dass es dir super steht.«
    Neugierig warf Sofia nun doch einen Blick in den Spiegel. Einen Kürbis im Abendkleid, das war es, was sie sah. Sie seufzte tief.
    Wie eine Todeskandidatin wartete sie hinter dem Vorhang, dass sie drankam. Dabei starrte sie so angestrengt durch einen Spalt ins Publikum, dass ihr fast schon die Augen wehtaten. Aber den Jungen fand sie nicht. Vielleicht hatte er sich im letzten Moment doch entschlossen, nicht hineinzugehen. Dann wäre sie gerettet.
    Jetzt rief Minimo Martina und Carlo in die Manege, die springend und Rad schlagend ihren Einzug hielten. Sofia war zu beschäftigt, um ihren Auftritt zu verfolgen. Noch einmal suchte sie mit den Augen Sitz für Sitz die Ränge ab und flehte innerlich, dass sie ihn nicht entdecken möge. Da spürte sie, wie jemand eine Hand auf ihre Schulter legte.
    »Was ist denn los? Du bist dran. Geh schon!«
    Es war Lidja.
    »Ach ja, ja«, sagte sie mechanisch, griff zu dem Servierwagen und trat durch den Vorhang. Kaum hatte sie einen Fuß auf den weichen Manegenboden aus Sägemehl gesetzt, da spürte sie ihn: seinen Blick. Irgendwo versteckt, für sie unsichtbar, schauten seine schönen Augen sie an und lachten über sie, über dieses Kleid und ihre pummelige Figur darin. Ein Gefühl, als würde sie von unzähligen spitzen Nadeln durchbohrt. Vor Aufregung ging sie nur noch im Schneckentempo weiter, Schrittchen für Schrittchen, während sich Carlo und Martina bemühten, dieses unerwartete Loch im Programm zu füllen. Endlich hatte sie die Mitte der Manege erreicht und stand einen Moment wie erstarrt mit großen Augen da. Dann schob sie Carlo den Wagen hin und wusste plötzlich wieder, dass sie ihn eigentlich Martina hätte geben sollen. Aber Carlo ließ sich nichts anmerken, griff sich entschlossen eine Torte, zielte kurz und warf sie Martina mitten ins Gesicht. Die griff rasch zur nächsten und zahlte es dem Kollegen heim.
    Gelächter. Geschafft. Es war geschafft. Und es war alles gut gegangen. So schnell sie konnte verschwand Sofia hinter dem Vorhang, wo sie sich auf den Boden hockte, um erst einmal tief durchzuatmen. Hier war sie in Sicherheit.
    »Glückwunsch! Aber ich finde trotzdem, du kamst lustiger rüber, als du kopfüber in die Torten gehechtet bist.« Lidja lächelte freundlich und ein wenig spöttisch.
    Immer noch mitgenommen schaute Sofia sie an. »Zumindest war es für mich weniger erniedrigend als gestern«, murmelte sie, fast mehr zu sich selbst. Dann wanderte ihr Blick wieder zu den Rängen. Ob er wohl noch da war? Und ob er sie überhaupt erkannt hatte?

    Im Schutz der Menge verließ der Junge das Zelt und das Zirkusgelände, durchquerte mit großen Schritten die Straße, die ihn immer weiter fortführte. Das Stimmengewirr der Zuschauer hinter ihm war längst verklungen, und irgendwann erstarb auch das gedämpfte Gemurmel der von abendlicher Müdigkeit umhüllten Stadt. Erst als er das Gefühl hatte, weit genug von allen menschlichen Siedlungen weg zu sein, verlangsamte er seine Schritte. Er war außer Atem. Als er sich umblickte, sah er den Stadtrand weiter hinter sich liegen. Wunderbar.
    Er brauchte nur die Augen zu schließen und sich einen kurzen Moment zu konzentrieren. Schon bewegte sich etwas unter seinem T-Shirt und schlängelte sich die Wirbelsäule entlang, bis aus seinem Ausschnitt eine Art metallene Spinne hervorschaute, die sich mit Krallen so spitz wie Nadeln in seinem Nacken festklammerte. Das war die einzige schmerzhafte Sekunde. Jetzt blinzelte er nur noch kurz mit den Lidern und aus seinen Schultern sprossen links und rechts zarte Membranen hervor, die länger und länger wurden und in der kühlen Abendluft sanft hin und her schwangen. Gleich darauf schossen aus dem Gerät in seinem Nacken Drähte hervor, zunächst ganz fein, die dann immer dicker wurden, sich um die Membranen verteilten und wie Streben aufrichteten. Die Drachenflügel waren vollkommen.
    Der Junge blickte zum bleigrauen Himmel auf. Ein paar Mal schlug er mit den Flügeln und hob dann ab. Jemand erwartete ihn schon, nicht weit von der Stadt.

5
Der Feind

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