Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
vermischten sich mit dem seines Engelsgesichtes.
Aber es hatte keinen Sinn, jetzt darüber nachzugrübeln. Sie musste fort. Hier war sie immer noch in Gefahr. So rappelte sie sich mühsam auf und humpelte zum Ausgang. Sie nahm den gleichen Weg zurück, den sie vor gerade einmal einer Stunde gekommen war, und fühlte sich dabei immer kraftloser, immer benommener. Und während ihre Sinne schwanden, blieb immer deutlicher die furchtbare Erkenntnis zurück, dass sich ein Feind in ihr Herz geschlichen hatte, dass sie sich in ein Ungeheuer verliebt hatte. Noch einmal rappelte sie sich auf und schaffte es, das Tor zu öffnen. Sie wankte auf die Gasse hinaus, doch nach ein paar Schritten verließen sie die Kräfte, und sie sank aufs Pflaster. Dort blieb sie liegen und wünschte sich nur noch, wieder im Erdboden zu versinken.
9
Fabio
So schnell er konnte, überflog Fabio die Stadt. Sein Bein tat höllisch weh, und unter der Hand, die er auf die Wunde presste, spürte er, dass seine Hose blutdurchtränkt war.
›Wer war dieses verfluchte Mädchen?‹, dachte er wütend. ›Wer ist sie?‹
Zum ersten Mal, seit er seine besonderen Kräfte besaß, war er verwundet worden. Bislang hatten sich ihm auf seinem Weg nur sehr viel schwächere Gegner entgegengestellt, die er mit Leichtigkeit und Vergnügen niedergemacht und gedemütigt hatte. Aber dieses Mädchen aus dem Zirkus war anders. Die besaß Flügel wie er und dazu die Gabe, Pflanzen zu befehligen und für sich kämpfen zu lassen.
›Sie ist wie ich‹, dachte er, und diese Erkenntnis erschütterte ihn. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war er fest davon überzeugt, dass er einzigartig und anders als alle anderen war. Niemand war ihm ähnlich, und niemand würde ihm je ähnlich sein. Als kleiner Junge hatte er unter dieser Andersartigkeit gelitten, doch je älter er wurde, desto stolzer machte sie ihn. Denn seine Einsamkeit war die Einsamkeit der Starken. Seine Bestimmung war es, anderen überlegen zu sein und sie zu zerquetschen.
Doch sie … sie besaß ein Mal.
›Ein Mal genau wie meins.‹
Wie das gelbe Mal auf seiner Stirn zwischen den Augenbrauen, das aufleuchtete, wenn er die Flammen beschwor. Ihr Mal war grün, aber das war der einzige Unterschied.
Hinter der Stadt, bei dem verlassenen Bauernhaus, das er schon lange bewohnte, setzte er zur Landung an. Er schwebte nieder, knallte aber auf den letzten Metern zu Boden, weil sich die Flügel zu früh zurückzogen. Auch das noch. Er fühlte sich schwach. Furchtbar schwach. Er humpelte ins Haus, wo ihn kahle, von Schmutz und Ruß geschwärzte Wände empfingen. An einer Seite öffnete sich ein Kamin, und in der Mitte stand ein wackliger, morscher Tisch. An der gegenüberliegenden Wand schlief er, auf einer Pritsche mit einer dünnen Matratze und einer Bettdecke darauf. Dort schleppte er sich hin und setzte sich auf das Bett. Kurz konzentrierte er sich, und schon bildete sich an seinem rechten Unterarm eine Metallschiene, aus der zum Schluss eine flache, spitze, von Flammen umzüngelte Klinge hervorschoss. Er wartete, bis der Stahl rot glühte, löschte dann das Feuer und hielt den Atem an. Was jetzt kam, würde nicht sehr angenehm für ihn sein, aber er hatte keine Wahl.
Er schrie, als die glühende Klinge seine Wunde berührte, schrie seinen Schmerz in die Nacht hinaus, und widerstand dabei der Versuchung, den Stahl zurückzuziehen. Das tat er erst, als die Wunde richtig ausgebrannt war. Die Klinge verschwand, und er ließ sich, vor Schmerz zitternd, der Länge nach aufs Bett fallen. Und dann erfasste ihn die Wut und ergriff mehr und mehr Besitz von ihm. Es war genau die Wut, die ihn schon sein ganzes Leben lang begleitete, das Einzige, was ihm geblieben war, nachdem ihn auch seine Mutter verlassen hatte.
Und im Schutz der Dunkelheit weinte er, zum ersten Mal, seit er kein Kind mehr war.
Seine Mutter hatte ihm erzählt, dass sie, als sie mit ihm schwanger war, von seltsamen Träumen heimgesucht wurde, aus denen sie voller Angst und mit pochendem Herzen in der Nacht aufschreckte, während ihr Mann friedlich neben ihr weiterschlief. Dann stand sie auf und zog den dicken Pullover über, den sie immer in ihrer Nähe liegen hatte. Denn sie stammte aus Italien, dem warmen sonnigen Italien, und hatte der Liebe wegen alles hinter sich gelassen. Aus dem Fenster blickte sie in die düsteren Wälder eines Landes, das ihr vollkommen fremd war, Ungarn, das nun ihr Zuhause sein sollte, und versuchte, nur daran zu denken, wie sehr
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