Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
Oberschenkel des Jungen. Der schrie, und Sofia litt mit ihm, als sie sah, wie das Blut aus seiner Wunde strömte. Denn trotz allem gefiel er ihr noch, gefiel ihr immer noch wahnsinnig gut, sehr viel mehr als sie jemals hätte zugeben wollen und mehr als sie ertragen konnte. Sie musste sich überwinden, ihm die Lanze aus dem Bein zu reißen. Dann wich sie ein wenig zurück.
»Wer bist du? Sag es mir, ich kann dich bestimmt retten«, rief sie aufgewühlt. »Ich weiß, wie ich dich von dieser Spinne in deinem Nacken befreien kann, die dich versklavt.«
Einen Moment lang starrte er sie nur ungläubig an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Ich bin niemandes Sklave. Ganz im Gegenteil. Ich bin frei. Seit ich über diese Kräfte verfüge, bin ich frei, frei von der Mittelmäßigkeit, die mich einst gefangen hielt. Endlich kann ich meinen Kräften mit all ihrer Gewalt hemmungslos freien Lauf lassen.«
Schon raste wieder eine Klinge auf sie zu, doch Sofia konnte den Angriff parieren. Prasselnde Flammen umzüngelten den Stahl, griffen auf ihre Lanze über, die sofort Feuer fing. Die Drachenschwester musste sie fallen lassen, um sich nicht zu verbrennen.
»Ich bin stärker als du«, zischte der Junge. »Und was du Versklavung nennst, habe ich gesucht und gewollt.«
Alles um sie herum fing Feuer, die Flammen kletterten die Wände hinauf, und im Tempel wurde es glühend heiß. Sofia sah, wie sich der Junge in der verrauchten Luft, die kaum noch zu atmen war, lachend von ihr entfernte. Benommen und kraftlos sank sie hustend zu Boden.
›Ich muss hier raus‹, dachte sie verzweifelt, ›hier verbrenne ich.‹ Doch sie war zu erschöpft, jede einzelne Körperfaser schmerzte.
»Das schaffe ich nicht mehr …«, murmelte sie. »Das schaffe ich nicht mehr!« Und ein erneuter Hustenanfall erstickte ihr die Stimme in der Kehle. Das Mal auf ihrer Stirn pulsierte, so als bemühe sich Thuban, ihr neue Kraft zu schenken, sie anzutreiben, sie davon abzuhalten, sich aufzugeben.
Langsam kroch sie vorwärts, während die Hitze um sie herum immer unerträglicher wurde. Der Boden glühte, doch sie krallte sich mit den Fingerspitzen in die Ritzen zwischen den Fliesen und schob sich Zentimeter um Zentimeter weiter, in Sicherheit.
Irgendwann bemerkte sie, dass der Rauch an einer Stelle steil in die Höhe zog. Der Schacht. Sofia musste die Augen schließen. Als sie dann blinzelte, erkannte sie verschwommen eine runde Öffnung über ihr. Mit letzten Kräften öffnete sie ihre Flügel und schlug mit ihnen in der glühenden Luft auf und nieder, hob sich aber keine Handbreit vom Boden.
›Thuban steht mir bei‹, machte sie sich Mut. ›Ich bin nicht allein. Ich schaffe das. Ich muss es schaffen.‹ Sie stieß einen Schrei aus und gab noch einmal alles, schlug so fest sie konnte mit den Flügeln, hob ab und tauchte in den engen Schacht über ihr ein. Dort stemmte sie Hände und Füße gegen die Brunnenwände, um nicht wieder abzustürzen, wobei ihre Muskeln vor Schmerz zitterten. Endlich schaffte sie es, eine Hand in die Höhe zu recken und mit letzten Kräften, eine Liane hervorsprießen zu lassen. Sie wurde länger und länger, stieg rasch zur Öffnung hinauf. Oben angekommen, wickelte sich die Spitze mehrere Male um die Metallstreben über dem Brunnen, rollte sich dann auf und holte die Drachenschwester hinauf.
Sofia krallte sich am Brunnenrand fest, zog sich mit letzter Kraft über das Mäuerchen und ließ sich zu Boden fallen. Keuchend lag sie da und hielt sich den überall schmerzenden Körper. Da hörte sie ein gewaltiges, furchterregendes Dröhnen unter sich, und die Erde bebte. Der Rauch, der gerade noch in dichten Schwaden aus dem Brunnen aufgestiegen war, löste sich plötzlich auf. Offenbar war der Tempel eingestürzt und nun für immer verloren.
Sie blieb liegen und atmete tief die frische Nachtluft ein, wobei sie das Gefühl hatte, dass ihre brennenden Lungen sich gar nicht richtig füllten. Die Taubheit, die all ihre Körperteile befallen hatte, ließ nach, und deutlich spürte sie, wie furchtbar ihre Handflächen brannten, wie unerträglich ihre Knie und die Wunde an der Schulter schmerzten. Doch mehr als die physischen Schmerzen war es ihre verwundete Seele, die sie quälte und dafür sorgte, dass sie sich hundeelend fühlte: Der Junge, der es ihr so angetan hatte, war ein Feind. Und dabei war er ihr auch noch in gewisser Weise ähnlich, denn er trug das gleiche Mal wie sie auf der Stirn. Die Bilder ihres Kampfes
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