Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
er, dass einem niemand etwas schenkt, ohne auch etwas dafür zu verlangen. Und so hatte er nur verächtlich gelächelt und geantwortet: »Das sind doch alles Märchen. Solche Dinge gibt es vielleicht in Comicheften, aber doch nicht in Wirklichkeit.«
»In Wirklichkeit gibt es aber auch keine Jungen, deren Hände Feuer hervorbringen. Und doch kannst du das.«
Eine Weile stand Fabio schweigend da und überlegte. Es stimmte, was der Fremde sagte.
»Und wie soll das gehen, dass ich noch stärker werde, als ich schon bin?«
Ratatoskr hatte eine Hand geöffnet und ihm eine Art kleine metallene Spinne gezeigt. Mit diesem Gerät könne er seine Kräfte nicht nur kontrollieren, erklärte er ihm, sondern sie auch vervielfachen und ins Unermessliche steigern.
Fabio hatte den Kopf geschüttelt. »Das glaubst du doch selbst nicht. Verarsch mich nicht, Alter.«
Das Gesicht des Besuchers verzog sich zu einem grimmigen Lächeln. Und schon umzüngelten schwarze Flammen seine Hand, allerdings ohne das Fleisch zu verbrennen. Dann ließ er die Handfläche zuschnappen, öffnete sie gleich wieder, und ein dunkler Blitz zuckte auf, der in Sekundenschnelle einen Busch in der Nähe zu Asche niederbrannte. Staunend hatte sich Fabio an die Wand gelehnt. Der Typ besaß also ganz ähnliche Fähigkeiten wie er. Doch im Gegensatz zu ihm verstand er es auch, sie gezielt einzusetzen. Es war also möglich.
Ratatoskr blickte ihn herausfordernd an. »Was sagst du jetzt?«
Fabio wusste nichts zu erwidern. Fassungslos starrte er den fremden Besucher an. Wer war er? Und warum wollte er ihm helfen? Dann fiel sein Blick wieder auf die metallene Spinne, deren Glitzern ihn wie ein Magnet anzog. ›Die Flammen beherrschen und gezielt einsetzen … Es denen heimzahlen, die uns abgewiesen, die mich beleidigt oder geschlagen haben …‹
Einladend lag sie da, diese Spinne, und schien nach ihm zu rufen.
»Ich bin dabei«, sagte er.
Ratatoskr hatte ihm die Spinne in den Nacken gesetzt: Es tat weh, aber der Schmerz verging gleich wieder.
»Nun bist du stark«, rief der Fremde, der plötzlich abhob und schwerelos einen Meter über dem Boden schwebte. Er streckte ihm die Hand entgegen und lächelte kumpelhaft. Fabio ergriff sie und schloss die Augen. Da veränderte sich sein Körper. Riesige Flügel aus dünnen Häuten, die von Metallstreben verstärkt wurden, wuchsen ihm aus den Schultern, und instinktiv bewegte er sie, schlug auf und ab und verspürte dabei ein sagenhaftes Gefühl von Macht und Freiheit.
Gemeinsam flogen sie über die Stadt davon. So ließ Fabio nicht nur das Waisenhaus hinter sich, sondern ein ganzes, von Entbehrungen und Erniedrigungen geprägtes Leben. Die Zeit war gekommen, sich all das zurückzuholen, was man ihm genommen hatte.
10
Halbwahrheiten
Eine Schlacht. Anfangs waren die Umrisse der Kämpfenden undeutlich, verschwommen. Es waren wohl zwei riesige Körper, einer schwarz, der andere grün. Dann wurde das Bild klarer, und er erkannte zwei Reptilien. Fabio lief ein Schauer über den Rücken. Einer der beiden war Nidhoggr.
»Wozu bist du gekommen?«, brüllte dieser. Fabio merkte, dass er den Lindwurm verstehen konnte, obwohl er sicher war, dass er die Sprache, in der er redete, noch nie gehört hatte.
»Er gehört dir nicht!«, stöhnte der grüne Drache, mit schmerzverzerrter Miene.
Nidhoggr lachte ungerührt. Wieder schlug er seine langen Reißzähne tief ins Fleisch des Drachen und zog sie dann triefend von warmem Blut wieder hervor.
»Er wird dir nie gehören«, rief da der Drache, während er sich mit einem mächtigen Schwanzhieb aus Nidhoggrs Fängen befreite. Dann drehte er sich zu Fabio um und sah ihn eindringlich an.
Und der fühlte sich gebannt vom Blick seiner großen himmelblauen Augen.
Die Sicherheit, die ihn bis zu diesem Zeitpunkt geleitet hatte, geriet ins Wanken, und die Erinnerung an eine wunderschöne Stadt mit prächtigen weißen Gebäuden erfüllte seinen Geist.
»Komm mit mir«, sprach der Drache zu ihm. Und langsam streckte Fabio die Hand aus, um die Klaue zu ergreifen, die der Drache ihm reichte, doch seine Hand war … verwandelt. Statt der Finger sah er drei Vorderzehen, aus denen spitze Krallen herausragten. Entsetzt schrie er auf.
Schweißgebadet und mit schmerzender Kehle vom lauten Schreien schrak er aus dem Schlaf auf. Verwirrt blickte er sich um, bis er die kahlen, feuchten Wände seiner Behausung wiedererkannte. Sein Kopf war noch ganz erfüllt von den Traumbildern. Die große
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