Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
schwarze Schlange war mit Sicherheit Nidhoggr. Doch wer war der grüne Drache? Und warum hatte er selbst sich verwandelt? Schon immer ähnelten seine Flügel, wenn er sie hervortreten ließ, denen eines Drachen, aber er hatte immer geglaubt, das liege an der metallenen Spinne, die ihm im Nacken saß. Aber was, wenn die Flügel irgendwie zu ihm selbst gehörten und tatsächlich seine eigenen waren? Wenn die Spinne lediglich eine Kraft aktiviert hatte, die in ihm selbst steckte und zu seinem Wesen gehörte? Vielleicht waren die Flügel nur der erste Schritt seiner Verwandlung, und sein übriger Körper würde bald folgen und so wie der Körper Nidhoggrs werden …
Fabio schüttelte den Kopf, um diesen schrecklichen Gedanken zu vertreiben. Er würde sich in überhaupt nichts verwandeln. Er war ein Mensch, und ein Mensch würde er bleiben.
Er untersuchte sein Bein. Die Wunde, die dieses dumme Mädchen … wie hieß sie eigentlich? Dieser komische Rausschmeißer im Zirkus hatte sie Sofia genannt … ihm zugefügt hatte, schmerzte immer noch ein wenig, war aber schon fast verheilt. Der Bluterguss darum war fast verschwunden, und die Wunde selbst war nur noch ein schmaler Strich. Das war normal bei ihm. Schon immer war er von Krankheiten oder Verletzungen sehr viel schneller genesen als andere Kinder, was er allerdings sorgfältig zu verbergen gelernt hatte. Pflaster und Verbände hatte er auch dann noch weitergetragen, wenn es längst nicht mehr nötig war, denn er wollte verhindern, dass andere, vor allem sein Vater, Verdacht schöpften. Aber heute war das nicht mehr notwendig.
Als er sich im Bett auf die andere Seite drehte, spürte er etwas Kaltes, Hartes, das ihm in die Rippen stach. Das Fläschchen. Der Grund für seinen nächtlichen Ausflug zum Kreuzgang dieser Kirche. Er nahm es in die Hand und hielt es ins schwache Licht der untergehenden Sonne. Das Gefäß war so klein, dass man es bequem in der geschlossenen Faust verbergen konnte, und bestand aus feinem bearbeitetem Glas, hinter dem er eine schwarze, zähe Flüssigkeit schwappen sah. Außen war das Fläschchen ringsum mit einer Drachendarstellung verziert. Fabio betrachtete sie lange. Es war ein Drache, wie in seinem Traum. Plötzlich erinnerte er sich, dass auch das Mädchen Drachenflügel besessen hatte, die seinen ganz ähnlich waren. Ob Sofia die Einzige war, oder ob es noch mehr Menschen gab, die Drachenflügel hatten? Und warum hatte ihm Nidhoggr nie etwas davon gesagt?
Wieder wurde ihm klar, wie wenig er eigentlich über den unheimlichen Herrscher wusste. Die Erläuterungen seines Dieners Ratatoskr waren immer sehr unvollständig gewesen.
»Mein Herr, oder besser, von nun an, unser Herr, kann momentan in dieser Welt noch nicht voll in Erscheinung treten. Deswegen braucht er Helfer wie uns, um seinen Interessen auf der Erde Geltung zu verschaffen«, hatte er ihm erklärt, nachdem er ihm die Metallspinne in den Nacken gesetzt hatte.
»Und was sind das für Interessen?«
»Ich kann dir bloß verraten, dass ihm einst die gesamte Erde, auf der er heute nicht leibhaftig erscheinen kann, untertan war.«
»Und warum kann er das nicht?«
»Weil unser Herr ein Lindwurm ist, besser gesagt, er ist der Lindwurm, der erste, der letzte und der mächtigste. Viele Jahrhunderte beherrschte er die Erde, als ein Feind, ein Drache, ihn herausforderte und ihn seiner Macht beraubte. Seitdem versucht er, den Thron, von dem er gestoßen wurde, zurückzuerobern.«
Drachen, Lindwürmer. Damals hatten sich diese Erklärungen für Fabio völlig verrückt angehört. Aber jetzt, auch nach diesem Traum, glaubte er mehr und mehr daran, dass das alles stimmen konnte. Obwohl die Geschichte so ungeheuerlich war.
Er stand auf und setzte sich an seinen Tisch. Den Blick auf das Fläschchen mit der dunklen Flüssigkeit gerichtet, zögerte er noch einen Moment. Dann gab er sich einen Ruck, schloss die Augen, konzentrierte sich, und die Flügel brachen hervor.
In der Schlucht war es in dieser Nacht besonders kalt, doch Fabio war so klug gewesen, sich einen dickeren Mantel überzuziehen, den er noch in einem Geschäft in der Stadt hatte mitgehen lassen. Geld hatte er nie, aber immerhin erlaubten es ihm seine Kräfte, sich jederzeit mit den Dingen zu versorgen, die er brauchte.
Ratatoskr traf kurz nach ihm ein. Er war ungeduldig.
»Wo ist das Fläschchen?«, fragte er ohne lange Vorrede.
Fabio lächelte. »Cool bleiben. Das ist ja nicht für dich bestimmt. Es ist dein Herr, wie du
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