Drachenseele (German Edition)
Schritte klangen deutlich nah und die Tür wurde wieder verschlossen.
„So! Dann wollen wir mal.“ Die Stimme von Dr. Schneider verursachte ein flaues Gefühl in Marcus Magengegend. Seine Glieder blieben unbeweglich, als wäre er tatsächlich tot. Schneider schien zu telefonieren. „Ich hab ihn jetzt im Kühlraum. Wann könnt ihr ihn austauschen?“ Eine Pause folgte. „Geht das nicht schneller?“ Schneider klang ungeduldig. „Na gut, dann werde ich ihm zur Sicherheit ein Narkotikum verpassen, wir dürfen ja nicht riskieren, dass uns Herr Sonntag abhanden kommt. Vergesst bloß nicht die Leiche vom Obdachlosen mi t zubringen, sonst bekomme ich hier Ärger.“ Marcus erkannte, dieser Scheißkerl hatte seinen Tod inszeniert. Sein Instinkt funktionierte, nur hatte ihm keiner Glauben wollen. Marcus schoss in die Höhe, dabei rang er geräuschvoll nach Atem.
„Marcus, was ist mit dir?“ Nicole stand mit entsetztem Gesicht vor ihm. Sein aufgebrachter Atem legte sich nur langsam. Dieses furchtbare Gefühl der Machtlosigkeit in dieser Situation beherrschte sein Gemüt. Seine angeblichen Wahnvorstellungen entsprachen den nackten Tatsachen. Dr. Schneider zählte zu den skrupellosen Medizinern, die eben mal Leichen austausc h ten, um sich Forschungspersonen zu beschaffen. Er, als Finde l kind ohne Verwandtschaft stellte die perfekte Versuchsperson dar. Keine Hinterbliebenen, die Fragen stellen würden. Außer Nicole hatte ihm niemand geglaubt.
„Könnte ich – bitte Wasser - bekommen?“ Er keuchte nach Luft, als hätte er ewig den Atem angehalten.
Nicole eilte in die Küche und kehrte mit einem Wasserglas zurück. Sie setzte sich neben ihn, legte ihren Arm um seinen N a cken und flüsterte: „Es tut mir so Leid, Marcus. Das war nicht meine Absicht, dich in eine solche Situation zu bringen.“
Er befeuchtete seine Lippen, „eigentlich habe ich es die ganze Zeit über gewusst, habe nur gezweifelt, weil mir niemand glauben wollte. Dieser Scheißkerl hat meinen Tod nur vorgetäuscht.“ Er nahm drei tiefe Atemzüge, „ich lag schon im Küh l raum, hab mir echt den Arsch abgefroren. Schneider plante die Leiche eines Obdachlosen gegen mich auszutauschen.“
Nicole schüttelte den Kopf. Ihre weit aufgerissenen Augen verdeutlichten ihre Fassungslosigkeit. „Und dann, was ist dann passiert?“
Marcus blickte zu Nicole, „ich fand mich auf deiner Couch wieder. Weiß du wie beschissen das ist, wenn du dich nicht rühren kannst, aber genau weißt, gleich geht’s dir an den Kragen?“
Nicole schloss die Augen, dann nahm sie ihn wortlos in den Arm. Wie gut das tat. Eine geborgene Berührung nach diesem Erlebnis, fühlte sich nach der Glückseligkeit auf Erden an. Nicole war die Einzige, die ihm Glauben geschenkt hatte.
In der Zeitung fand Nicole am Morgen einen ausführlichen Artikel über den Zwischenfall im Kühlhaus. Die Krimimalpolizei fand keine Hinweise auf ein Verbrechen. Bisher konnte niemand eine Erklärung für die schweren Verbrennungen des verunglückten Arztes finden. Die ersten Vermutungen, eine defekte Lampe solle schuld gewesen sein, wurden dementiert. Die Ärzte versetzten Dr. Schneider in ein künstliches Koma. Das gesamte Gesicht, die Kopfhaut sowie Hals und Oberkö r per waren hochgradig verbrannt sogar bis in die Atemwege hinein.
Nachdem Marcus den Artikel gelesen hatte, fehlten ihm die Worte, vor allem die Vorstellung, was passiert sein mochte. Es konnte nur bedeuten, dass eine dritte Person im Kühlraum dazu kam. Einen Menschen aus Rache oder aus Notwehr zu töten war eine Sache, aber jemand bei lebendigem Leibe zu rösten, das war nur abartig. Wer wäre zu so einer solchen Tat fähig? Was für eine Höllenmaschine erzeugte genug Hitze, um Schneider derartig zu verunstalten?
Gleich einem Faustschlag fiel Marcus der Engländer ein. Stones wusste von der Flucht aus dem Krankenhaus. Er musste dort gewesen sein, woher sonst sollte er die Kenntnis nehmen? Kenneth Stones! Er erweckte eigentlich nicht den Eindruck eines eiskalten Killers. Dieser Mann gab ihm immer mehr Rätsel auf. Marcus fühlte sich geohrfeigt. Er war einem Psychop a then gefolgt, hatte diesem fremden Mann beinah blind vertraut. Keine seiner Aussagen stellte er in Frage. Seit wann war er so naiv?
Puzzle
M arcus fragte sich, ob man Clara übers Ohr gehauen, ihr eine leere Urne untergejubelt hatte. Vielleicht hatte man auch den Obdachlosen statt seiner fehlenden Leiche verbrannt. Unruhig sah er ständig zum Fenster. Nicole
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