Drachenseele (German Edition)
Wohngemeinschaft sollte er besser aus dem Weg gehen. Dazu wäre eine äußere Veränderung hilfreich.
Veränderung
N icole stieg mit ihren vier Einkaufstüten bepackt aus der Straßenbahn.
„Darf ich helfen?“ Marcus bemühte sich um eine noch tiefere Stimme, um nach zwei Stofftaschen zu greifen. Jetzt würde sich zeigen ob seine Kurzhaarfrisur ihn tarnte.
Nicole sah ihn flüchtig an. „Nicht nötig, danke.“ Ungewöhnlich grimmig klang sie.
„Warum so unfreundlich?“ Er spürte das Grinsen in seinem Gesicht.
„Hören Sie.“ Nicole blieb stehen, schaute Marcus ins Gesicht. „Ich brauche“, ihr Blick wanderte auf seine Augenpartie. Sie hielt inne, „Marcus!“
„Funktioniert also.“ Er entriss ihr die Einkaufstaschen. Verdutzt verharrte sie einen Moment auf der Stelle, eilte ihm dann nach. „Du siehst verändert anders aus.“
„Das ist ja auch Absicht. Heute Morgen war ich auf Arbeitssuche. Meine spärlichen Rücklagen sind fast aufgebraucht. A u ßerdem kann ich nicht den ganzen Tag im Internet rumhä n gen.“
Schweigend ging Nicole neben ihm her. Sie wirkte traurig.
„Was ist los mit dir?“
„Nächsten Montag beginnen die Semesterferien.“
„Ich weiß, es steht ja sogar in deinem Kalender.“ Das sollte doch eher ein Grund zur Freude sein.
„Meine Eltern würden sich freuen, wenn ich sie in den ersten drei Wochen besuche.“
„Ich dachte, du verstehst dich mit deinen Eltern.“ Er stellte die Taschen vor der Haustür ab, um seinen Schlüssel herauszuholen.
„Marcus!“ Sorgenfalten zeigten sich auf ihrer Stirn. „Was, wenn mit dir irgendwas ist und ich nicht da bin?“
Sie sorgte sich um ihn. Was für ein gutes Gefühl jemand soviel zu bedeuten. „Aber was soll denn sein? Die letzten Wochen gab es keinerlei Anzeichen. Nicht mal der klitzekleinste Kop f schmerz.“ Er schloss auf, schnappte sich die Taschen. „Du wirst die Zeit bei deinen Eltern genießen und ich werde hoffentlich einen Job finden.“
Drei Tage später fand Marcus auf einer Baustelle einen Vorarbeiter, der dringend Ersatz für seinen erkrankten Schweißer suchte. Zunächst schien er mit den fehlenden Papieren ein Problem zu haben, lenkte dann aber ein, als Marcus seine Lohnforderung herunter schraubte. Der Ausfall des Arbeiters hatte den Vorarbeiter in Terminschwierigkeiten gebracht. Ma r cus musste also Überstunden schieben, um die verlorene Zeit wieder herauszuholen. Von sieben Uhr morgens, bis abends zwanzig Uhr schuftete er auf der Baustelle, keine Chance Nic o le am Abreisetag auch nur zum Bahnhof zu begleiten. Inzw i schen hatte er sich sehr an Nicoles allabendliche Gesellschaft gewöhnt. Der erste Abend allein erschien ihm wie eine Strafe. Seine Gedanken kreisten um seinen angeblichen Tumor, um seine Identität. Auch der verstorbene Dr. Schneider sowie seine Flucht neulich aus dem Krankenhaus beschäftigten ihn deutlich. Weiter schweiften seine Überlegungen zu seinen Geschwistern, ob er sie jemals finden würde und ob sie ähnliche Kopfschme r zen verspürten. Seine sehnlichst gewünschte Ruhe begann sich durch die Einsamkeit zu einer unerträglichen Last zu entw i ckeln. Die täglichen Telefonate mit Nicole verstärkten seine Sehnsucht nach ihrer Geborgenheit. Ihre aufmunternden Wo r te, ihre Berührungen fehlten ihm mehr als er sich das eingest e hen wollte. Das vergebliche Warten auf Post aus England brachte das Fass zum Überlaufen. Statt Abendbrot zu essen, kam Marcus durch einen Arbeitskollegen auf den Geschmack von Whisky. Seine quälenden Überlegungen verblassten mit jedem Glas und der schwirrende Zustand in seinem Kopf ü berdeckte seine zermürbenden Gedanken
Wie jeden zweiten Abend seit vierzehn Tagen schloss Marcus mit einer Flasche Whisky im Gepäck seine Wohnungstür auf.
„Das erklärt, warum du die letzten drei Tage nicht ans Telefon gegangen bist.“ Nicoles Augen sahen auffallend rot aus. „Warum? Warum machst du das?“ Demonstrativ schaute sie auf die Ansammlung der leeren Flaschen im Flur. Sie kam auf ihn zu. Ihre Stimme zitterte. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was ich mir für Sorgen gemacht habe?“ In diesem Augenblick schlug sie ihm mit der Kraft ihrer Wut die Hand ins Gesicht. Der Schlag riss Marcus den Kopf zur Seite. Ehe er etwas sagen konnte, eilte sie an ihm vorbei und knallte die Tür von außen zu.
Nicole sorgte sich um ihn. Mit seinem Verhalten hatte er sie verletzt. Was für ein Idiot er doch war. Ob sie ihm das jemals verzeihen würde? Jetzt war sie
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