Drachenseele (German Edition)
Hitzewelle schien seinen Körper zu erfassen. Hastig sah er zur Seite. Nein, er wollte es wissen. Mehrere Reihen vor ihm stopfte in diesem Moment eine junge Frau ihr offensichtlich schweres Handgepäck in die obere Ablage. Sie sah aus wie Nicole. Als der Steward ihr behilflich war, lächelte sie. Unverkennbar, es war Nicole, denn beim Lächeln entstanden ihre Grübchen in den Mundwinkeln, die Narvalvar immer so geliebt hatte. Er spürte wie die Hitze ihm ins Gesicht stieg. Rasch nahm er den Kopf zur Seite.
Noch vor drei Jahren wäre er sofort aufgestanden, hätte das Gespräch mit ihr gesucht. Inzwischen war sein Wissen um die Geschichte der Drachen deutlich umfangreicher. Nathus hatte ihm immer wieder verdeutlicht, wie gefährlich allein schon der Kontakt zu Menschen sein konnte. Nicole war anders. Zumindest wollte er sich für damals entschuldigen und sich für ihre Hilfe bedanken. Nein! Er durfte ihr erst gar nicht unter die A u gen treten. Narvalvar schluckte hart. In seinem Inneren begann sich ein heftiger Schmerz auszubreiten. In dieser Situation sah er die Herausforderung seines Lebens. Zu gern hätte er sie noch einmal in den Arm genommen, sie ein letztes Mal an sich gedrückt, ihren menschlichen Geruch wahrgenommen, doch weder Nicole noch ihm wäre damit geholfen.
Diese Begegnung schien ihm wie eine der harten Prüfungen, die Nathus ihm auferlegt hatte. Ja genau! Der General steckte dahinter. Nachdenklich fuhr Narvalvar mit den Fingern über sein Halsband. Ausgerechnet Nicole hier im Flugzeug zu treffen, konnte doch kein Zufall sein.
Das war Absicht, Nathus überprüfte seine Loyalität, sein Vertrauen. Er wollte, nein, er musste bestehen. So sehr es in seinem Inneren auch schmerzte, er durfte seinem Verlangen nicht nachgeben. Anderseits bemerkte er, wie gut es tat, sie in seiner Nähe zu wissen - genau wie damals in Berlin in der Wohnung.
Jetzt fragte er sich, wie er es drei Jahre lang mit dem General ausgehalten hatte. Der Kerl hatte so gar nichts Gefälliges an sich, brauste nur fortwährend auf und war nie zufrieden zu stellen. Es gab in dieser Zeit nur wenige Wochen, die Nathus ihn an Stones übergab, um seine Kinder zu besuchen. Narvalvar bedauerte sie. Mit einem solch strengen Vater gestraft zu sein, war bestimmt kein leichtes Schicksal. Was zerbrach er sich eigentlich den Kopf? Er befand sich auf dem Weg zu Richard, den er seit der Magenverstimmung nicht mehr gesehen hatte. Diese Reise hatte er nur seiner Beharrlichkeit zu verdanken, die er Stones entgegengebracht hatte. Der General war stets dagegen gewesen. Je länger er darüber nachdachte, um so deutlicher sah er die Anwesenheit von Nicole als Prüfung. So dämlich durfte er nicht sein und in die Falle tappen, diesen Triumph gönnte er Nathus nicht.
Narvalvar drehte sich zum Fenster um, so konnte Nicole ihn nicht sehen, sollte sie vorbeikommen. Er dachte über seinen bisherigen Lebensweg nach, über die Zeit im Kinderheim bei Clara, über den Umzug nach Berlin und schließlich über die Begegnung mit Nicole. Zweifelsohne waren die schönste und glücklichste Zeit die Monate mit Nicole, die es so nie wieder geben durfte.
Wie grausam das Leben sein konnte, da saß die Liebe seines Lebens nur einen Flügelschlag von ihm entfernt und er musste so tun, als sei er gar nicht da. Der zweistündige Flug wurde zu einer harten Probe, die Narvalvar zwischendurch nicht zu bestehen glaubte. Nach der Landung wartete er, bis alle Passagiere ausgestiegen waren. An der Gepäckausgabe sah er von weitem Nicole mit ihrem Koffer das Flughafengebäude verlassen. Sein Herz schien in tausend Stück zu zerreißen. In diesem Moment hasste er sich. Wäre es Nicole nicht wert gewesen, in diesem Test zu versagen? Wenn er sich beeilte, konnte er sie bestimmt noch einholen.
Nein, verdammt! Er durfte Nathus nicht auf den Leim gehen.
Nach einer halbstündigen Taxifahrt vom Heathrower Flughafen nach Richmond, begrüße Narvalvar endlich Richard in se i ner Wohnung. Sein Gesicht sah viel faltiger aus, als Narvalvar es in Erinnerung hatte, auch seine Augen wirkten trübe.
„Gut seht Ihr aus, Narvalvar.“ Er klopfte ihm freundschaftlich auf den Oberarm, „wie ich hörte, macht Ihr großartige Fortschritte.“
Diese Aussage verwunderte ihn sehr. „Nathus kann man es eigentlich nie recht machen.“
Richard seufzte, es klang, als käme es aus tiefstem Herzen. „Ich hatte so sehr gehofft, das Verhältnis hätte sich gebessert.“
„Vergessen wir den grimmigen
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