Drachenseele (German Edition)
schien es ihm, als habe er sie gestern erst angerufen. Seine Hände zitterten während er die Nummer eintippte. Ein Fre i zeichen ertönte, noch eines und noch eins. „Ja bitte?“ Das war definitiv nicht Nicoles Stimme.
„Ich“, er musste plötzlich schlucken, seine Hoffnung schwamm gerade davon, „habe mich wohl verwählt.“
„Sind Sie Marcus?“, fragte die Gesprächspartnerin schnell.
Sein Kloß im Hals kehrte zurück, größer und störender. „Ich muss mit Nicole sprechen.“
„Sie hat nie die Hoffnung aufgegeben, dass Sie anrufen würden. Nicole ist jetzt in England und ...“
„Ich weiß, vor ein paar Tagen habe ich sie im Flugzeug gesehen. Bitte, ich brauche Nicoles Hilfe. Es ist wirklich sehr dri n gend.“ Narvalvar musste die Wichtigkeit dieses Telefonates verdeutlichen. „Es geht um Leben oder Tod! Jede Minute zählt.“
„Wo kann Nicole Sie finden?“
Narvalvar wollte schnellstmöglich zu seinem Vater. Nicole hierher zu ordern ergab keinen Sinn. Deshalb nannte er die Adresse, die er von Nikolaj erfahren hatte. Als er das Gespräch beendete, kamen ihm Zweifel die Wohnung zu verlassen, doch nur kurz. Zwar hatte er Stones versprochen sich nicht von der Stelle zu rühren, doch diese besondere Angelegenheit erlaubte gewiss eine Ausnahme, schließlich brachte er das Drachengeheimnis nicht in Gefahr. Narvalvar öffnete die Tür, eilte hinu n ter auf die Straße, weiter nach vorn zur großen Hauptstraße, wo er am Straßenrand den Arm hob, um ein Taxi anzuhalten.
Narvalvar knetete seine Hände, dann sah er auf die Uhr. Zwanzig Minuten waren seit dem Anruf von Nikolaj vergangen. Unentwegt fragte er sich, was nur passiert war und in we l chem Zustand er Nathus antreffen würde. Ob sein Vater noch lebte? Zu viele Gedanken wollten jetzt verfolgt werden, die ihm alle nur störend erschienen. Vermutlich wohnte Nicole sehr weit weg und kam gar nicht erst her. Narvalvar rieb sich übers Gesicht, schaute erneut auf die Uhr, was der Taxifahrer offe n sichtlich beobachtet hatte.
„Ich fahre so schnell ich kann, Mister! Aber auch ich muss mich an die Vorschriften halten.“
„Schon klar! Danke!“ Nur kurz sah er in den Rückspiel, um den Blickkontakt herzustellen.
Damals, er hatte Nicole auf der Straße einfach stehen lassen, bestimmt war sie nicht gut auf ihn zu sprechen. Andererseits hatte die Frau am Telefon behauptet, Nicole hätte auf seinen Anruf gewartet. Jetzt konnte er ohnehin nichts mehr ändern, nur hoffen Nathus in seinen letzten Atemzügen beizustehen. Warum hatte er nur nie etwas gesagt?
Warum nur?
Welche Antwort es darauf auch gab, die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Narvalvar starrte aus dem Fenster ohne wirklich hinzusehen. In seinen Gedanken dachte er an die vergangenen drei Jahre zurück. Er sah Nathus als Drache vor sich, wie sie gemeinsam nachts ausgeflogen waren, um im Meer nach Fischen zu jagen. Da gab es nur wenige Momente, in denen Na r valvar einen Anflug von Zuneigung gespürt hatte, doch wenn, dann nur in seiner Drachengestalt. Als Mensch kehrte Nathus meist den General heraus, dem keine Anforderung gewachsen schien. Die einzige Ausnahme war jene Zeit am Anfang, als Richard Narvalvar gegen das Fieber behandelte, da wirkte Nathus fast um ihn besorgt.
Nun war Narvalvar ja auch klar, warum.
„Fünf Minuten, dann sind wir da!“ Der Taxifahrer schaute in den Rückspiegel. Narvalvar nickte ihm zu, sah anschließend zur Uhr. Seine Hände zitterten auffallend, während er das Geld für den vereinbarten Fahrpreis herauszog und es dem Fahrer nach vorn reichte. Besser jetzt bezahlen, als beim Aussteigen wertvolle Zeit zu vergeuden.
„Soll ich auf Sie warten?“
„Nein!“ Er durfte nicht zu spät kommen. Dieses eine Mal sollte das Leben sich doch mal gnädig zeigen. Narvalvar schloss kurz die Augen und wünschte sich rettende Hilfe für seinen Vater.
„Der Stew Pond liegt in dieser Richtung.“ Der Fahrer bremste und wies mit der Hand in den Wald. Narvalvar stieß die Autotür auf, stieg aus und schlug die Tür hinter sich zu. Er rannte zunächst einen Fußweg entlang, bis er den See zwischen den Bäumen erkannte. Westlich, hatte Nikolaj gesagt. Er musste also dort drüben weiter. So schnell seine Beine ihn trugen, jagte Na r valvar durchs Gestrüpp.
„Nikolaj?“ Für den Augenblick blieb er stehen und lauschte. Quatsch! Er war ein Drachen, der seinen Instinkt benutzen sollte. Er konzentrierte sich auf seinen Geruchssinn, auf sein Gehör, dabei lief er
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