Drachenseele (German Edition)
Händen auf den toten Brustkorb. Im Rhythmus seines eigenen Herzschlages presste er den Thorax auf die Erde. Sieben oder acht mal, bis Nikolaj ihn zurückhielt. „Habt Dank.“
Leicht außer Atem beendete Narvalvar sein Handeln und sah auf den Drachenkörper. Der Anblick schnürte ihm die Luft ab. Vor seinen Augen begann der Körper langsam in sich zusammen zu fallen, als würde er innerhalb von Minuten austrocknen, wie im Film beim Zeitraffer, nur nicht so schnell. Narvalvar verspürte heftigen Schwindel und schloss kurz die Augen. Sein Magen schien sich umstülpen zu wollen, zudem fühlte sich sein Mund trocken, fast pelzig an.
Diese Erscheinung verstärkte sich, bis er spürte, wie seine Knie auf den Boden sanken. Nathus hatte ihm, ohne dass er sich bisher darüber im Klaren war, einen Halt, ja, ein Zuhause gegeben. All das brach augenblicklich zusammen. Hoffnung und Sicherheit flogen für Narvalvar davon. Erst heute Morgen hatte ihn sein Freund Richard verlassen und nun sein Vater.
Die Einsamkeit in seinem Herzen breitete sich unaufhörlich aus. Es schmerzte.
„Narvalvar? Zum Drachenfeuer!“ Nikolaj schlug ihm mehrmals ins Gesicht. „Ihr könnt doch nicht zusehen! Das hat Nathus Euch ausdrücklich verboten!“
„Niemals, wirklich niemals darfst du einem Drachen beim Sterben zusehen, Narvalvar. Deine Seele würde sich hinreißen lassen mit der Sterbenden mitzugehen. Zu sehr sind wir Drachen seit Urzeiten miteinander verbunden.“ Genau das hatte Nathus ihm mehrmals verdeutlicht.
Wie konnte er das vergessen? Vielleicht hatte er absichtlich hingesehen, um seinem Vater zu folgen?
Nein!
Seine Zeit war noch nicht gekommen.
„Hab’s vergessen“, hörte sich Narvalvar nuscheln.
„Vergessen?! Ihr seid ja lebensmüde!“ Nikolaj klang wütend. „Ihr habt Euch wirklich zu viel von den Menschen angenommen.“ Narvalvar bemerkte, wie er vorwärts torkelte. Kraftlos, nein unendlich müde fühlte er sich und es war ihm, als würde eine Kraft ihn nach hinten ziehen. „Kann nicht.“
„Oh doch und wie Ihr könnt.“ Nikolaj stützte ihn. Narvalvar spürte seinen rechten Arm um einen Hals liegen.
„Je schneller wir jenen Ort verlassen, desto besser für Euch.“
Nicht weit entfernt hörte Narvalvar einen vertrauten Namen. „Marcus?“
Nicole!
Sie kam zu spät, jedenfalls um seinen Vater zu retten, und doch bemerkte Narvalvar, wie sein Herz augenblicklich höher schlug. Er bemühte sich die Augenlider zu öffnen, doch sie schienen zu schwer.
„Marcus? - Wo bist du?“
„Ich hoffe, der Wagen steht noch oben an der Straße, bis dahin müsst Ihr laufen.“ Nikolaj zog seine Hand fest nach unten, vermutlich, damit sein Arm nicht vom Hals rutschte. „Kommt schon, nicht schlapp machen.“
„Lass mich!“ Narvalvar sehnte sich aus dem unbequemen Griff zu lösen und sich einfach auf den Waldboden fallen zu lassen. Nikolaj zerrte seinen Arm noch ein Stück herunter.
„Ich werde Stones anrufen. So wie ich Euch kenne, hat er keine Ahnung, wo Ihr seid, richtig?“
Narvalvar bemerkte, wie seine nassen Haare ihm ins Gesicht hingen, wie die Regentropfen daran hinunterliefen.
„Marcus?“ Nicole hörte sich nah und erstaunt an, sie stand vermutlich direkt vor ihm. Beschwerlich öffnete er die Augen, was ihm nur für einen Moment glückte.
„Was ist passiert?“ Wie angenehm es war, ihre Stimme zu hören. Sie musste seinen anderen Arm um ihren Nacken legen. Er spürte ihre zarte Haut.
„Ich denke, es ist besser, wenn Sie gehen, junge Dame.“ Nikolaj war stehen geblieben.
„Hab sie angerufen.“ Das war zu hinderlich, dass ihm das Reden so schwer fiel, aber diesmal durfte er Nicole nicht noch einmal vor den Kopf stoßen.
„Ich bin Nicole Martens, eine alte Freundin von Marcus.“
„Schön, schön. Ich bin Nikolaj und nun sollten wir diesen hitzigen jungen Mann hier fortbringen.“ Er setzte sich wieder in Bewegung, damit auch Nicole. Ganz langsam kehrten Narvalvars Sinne zurück, die Kraft, die ihn nach hinten zog, ließ mit jedem Schritt nach. Sein Torkeln veränderte sich zum G e hen und auch seine Augen ließen sich leichter öffnen.
„Danke“, er musste schlucken, „dass du gekommen bist.“
„Laut der Aussage von Stones, hast du es damals nach deiner Verletzung nicht nach England geschafft. Aber ich wusste, dass er log.“
Narvavlar wurde mit diesen Worten klar, wie sehr die Drachen unter Stones Anweisungen standen und er mal wieder gegen die Regeln verstoßen hatte.
„Er tat es“,
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